Verstehst Du Deinen Hund?

Ein Artikel unserer DOGS Partnerin Conny Sporrer (Martin Rütter DOGS Wien) aus dem "crazy4dogs"-Magazin.

Jede gute Beziehung basiert auf gegenseitigem Verständnis, einem ausgeprägten Sinn für die Gefühle des Anderen und der Bereitschaft sich aufeinander einzulassen - auch jene zwischen Mensch und Hund. Um Missverständnissen in der Beziehung mit unserer Hunden vorzubeugen, sollten wir vor allem deren Sprache lesen und verstehen lernen. Denn nur, wenn man einander versteht, ist man auch miteinander glücklich.

„Darf ich ihn hinlassen?“ rief ich einem Golden- Retriever-Besitzer vor vielen Jahren beim Gassi-Gehen mit meinem damaligen Rüden im Park zu. Mit einem konfliktvermeidenden „Lieber nicht“ wandte sich der Mann samt Hund ab, und ich war einmal mehr verdutzt, warum die Menschen so wenig Sozialkontakt bei ihren Hunden zuließen. Er „tut nix“, lasse ich die Leute wissen, auch wenn‘s vielleicht nicht so aussieht, weil mein Hund den anderen scheinbar bedrohlich fixiert. Heute weiß ich, dass ich damals auf einen Menschen getroffen bin, der sein Bauchgefühl walten ließ und seinem Hund im richtigen Moment eine Entscheidung abgenommen hat. Der Grund für das „unliebsame“ Verhalten meines Rüden war eine unglückliche Aneinanderreihung verschiedener Umstände – letztlich aber basierte alles auf einem riesengroßen Missverständnis.

DIE SPRACHE DER HUNDE RICHTIG DEUTEN

Die allermeisten vermeintlichen „Verhaltensstörungen“ bei Hunden beruhen auf Kommunikationsproblemen und einer Kette an Fehlinterpretationen. Oder schlicht gar keiner Wahrnehmung für die feine und nuancierte Sprache unserer Vierbeiner. Das fängt doch schon an, wenn auf „Abrichteplätzen“ – die Bezeichnung spricht ja schon für sich – im militärischen Ton „Sitz!“, „Platz!“, „Fuß!“ gebrüllt wird. Eigentlich wissen wir doch, dass unsere Hunde bereits die leisesten Geräusche im Treppenhaus wahrnehmen, warum also sollten wir laute „Kommandos“ nutzen? Bei der Begleithundeprüfung sind in der Prüfungsordnung so gut wie keine Sichtzeichen erlaubt, kann das jemand erklären?! Hunde gebrauchen zu ihrer Verständigung im Allgemeinen vier Sinne, die auditive, visuelle, olfaktorische und taktile Kommunikation ermöglichen. Bei Körpersprache-Seminaren frage ich die Teilnehmer immer, was sie für die wichtigste Kommunikationsform halten. Unisono lautet die Antwort immer: den Geruchssinn – also die olfaktorische Kommunikation. Auch wenn der Hund etwa 215 Millionen Riechzellen mehr besitzt als der Mensch, ist die Nase für ihn im ersten Schritt nicht so wichtig. Viel bedeutender ist es nämlich, erst einmal zu SEHEN, wie sich das Gegenüber auf Distanz ausdrückt. Erst dann kommen das Riechen und Hören hinzu und zuletzt auch unter Umständen das Fühlen. Das heißt für uns also, dass wir bereits viel früher beginnen müssen, Hundebegegnungen zu beobachten, um sie richtig einschätzen zu können. Versuche doch schon bei Deinem nächsten Spaziergang, den Hund, der Dir entgegenkommt, zu beschreiben. Versuche aber, wirklich bei einer Beschreibung zu bleiben und nicht gleich zu interpretieren. Hunde drücken sich durch die Kombination verschiedenster Mimik, Gestik und Laute aus, all diese Elemente zusammengefügt ergeben die Interpretation des Verhaltens. So kann es z. B. vorkommen, dass ein Hund mit hoch erhobener Rute, aufgerichteten Nackenhaaren, der laut bellend vor Dir steht, zwar einen wichtigen Eindruck machen will, letztlich aber nur Unsicherheit überspielt. Erkennen kann man das dann zum Beispiel daran, dass der Hund sein Körpergewicht im Schwerpunkt nach hinten verlagert hat und sich auch ambivalent immer wieder vor- und zurückbewegt. Beim Bellen mit nach oben gestrecktem Kopf, oft in schneller Abfolge und tendenziell hoher Tonlage, handelt es sich meist um einen versteckten Ausdruck von Unsicherheit. Genauso kann ein Davonlaufen mit eingezogenem Schwanz bedeuten, dass sich der gejagte Hund ganz gezielt in eine „Opferrolle“ begibt, um die Hatz anzutreiben. Dies würde man dann daran erkennen, dass der Hund beim Rollentausch (also wenn er in der Jäger-Rolle ist) nicht Schutz oder das Weite sucht, sondern bestrebt ist, das Spiel weiter fortzuführen. Es gilt also alles einzeln zu bewerten, im Gesamtkontext zusammenzufügen und erst dann zu interpretieren. 

VON DOMINANZ UND ALPHA…

Auch der allgegenwärtige Begriff „Dominanz“ spielt in diesem Kontext eine allzu überschätzte Rolle. Oft hört man: „Das ist ein sehr dominanter Rüde“ oder: „Das ist eine Alpha-Hündin, das hat mir der Züchter schon gesagt...“ Tatsächlich gibt es DEN dominanten Hund nicht, es gibt lediglich situativ-dominante Verhaltensweisen. Klassiker dafür sind zum Beispiel das Kopf- oder Pfoteauflegen aus dem Bereich der taktilen Kommunikation. Aus der Menschenwelt wissen wir, dass der vermeintlich so dominante Chef im Büro zu Hause nichts zu sagen hat. Sprich: In jeder Begegnung werden die Karten neu gemischt. So wurde schon so mancher dominante Rüde, ob in der Menschen- oder Tierwelt, durch klare Souveränität des Gegenübers in die Tasche gesteckt. Was oft als „dominant“ wahrgenommen wird, ist also häufig Überspielen von Unsicherheit und sozialen Defiziten. Ein wirklich souveräner Hund macht sich also nicht groß, um Status und Dominanz zu zeigen, er profiliert sich eher durch Ignoranz und demonstriert aktiv, „über den Dingen zu stehen“. Er würde auch eher versuchen, Konflikte zu vermeiden, sich gar nicht erst auf das Streitniveau herabzulassen. Wenn es mal zu einer „Korrektur“ eines anderen Hundes kommt, so ist diese gezielt und nicht übertrieben. Auch das kennen wir aus vielen Firmenstrukturen: Chefs die cholerisch herumbrüllen, werden oft nicht so ernst genommen, wie jene, die im Hintergrund steuern und clevere Entscheidungen treffen. 

DIE WICHTIGKEIT DER KONFLIKTVERMEIDUNGSSIGNALE

Potenziell ranghöhere Hunde senden bei Hundebegegnungen oft sogenannte „Beruhigungssignale“ aus. Sie sollen dem Gegenüber zeigen: „Ich komme im Guten, ich will dir nichts Böses.“ Dies äußert sich zum Beispiel durch demonstratives Desinteresse. Der Hund hat sein Gegenüber längst wahrgenommen, sucht sich aber schnell aktiv eine andere Handlung, wie am Boden zu schnüffeln, um unnötigen Druck aus der Begegnung zu nehmen. Häufig wird in der Begegnung auch bewusst der Blick oder gesamte Körper abgewendet, zum Beispiel indem ein Bogen gelaufen wird und kein direkter Kontakt stattfindet. Jeder normal sozialisierte Hund versteht diese Signale. Tendenziell unsichere Hunde senden in solchen Begegnungen sogenannte „Beschwichtigungssignale“ aus, das heißt, sie versuchen die Situation zu besänftigen, um möglicherweise drohenden Konflikten aus dem Weg zu gehen. Dies äußert sich auch über das Vermeiden von Blickkontakt oder durch aktives Demonstrieren von Unterwürfigkeit. Entweder indem ein sogenanntes Unterwürfigkeitsgesicht gezeigt wird (Ohren eng angelegt, Augen klein, Maulwinkel und Stirn weit nach hinten gezogen) oder sich der gesamte Körper infantil zeigt, um aktiv darzustellen, dass man eher kindliche Ambitionen hat, als einen Streit auszutragen. Sollte es doch zu einer eher angespannten Begegnung kommen, ist davon auszugehen, dass zumindest einer der beteiligten Hunde weder beruhigt noch beschwichtigt hat, sondern sehr geradlinig und tendenziell steif und angespannt, mit nach starr vorne gerichtetem Blick, leicht gesenktem Kopf und angespannter Rute in die Begegnung gegangen ist. Solltest Du in eine solche Situation kommen und Dein Hund sendet keines der genannten Konfliktvermeidungssignale, ist es an Dir, die Situation möglichst konfliktfrei zu lösen. Du kannst Deinen Hund durch Alternativverhalten (z. B. Suche nach Leckerlis) in der angespannten Situation umlenken, häufig reicht es aber auch schon, selbst einen Bogen zu machen oder langsam die Richtung zu wechseln.

FAZIT

Hätte ich meinen Rüden „Mori“ damals richtig verstanden, wäre es erst gar nicht zu diesen unschönen Hundebegegnungen gekommen. Ich hätte ihn dann nämlich in unserer Anfangsphase nicht alles für sich selbst regeln lassen, ohne Rückhalt oder Sicherheit meinerseits, mit den Worten: „Die machen sich das schon aus...“ Was sie sich da eigentlich ausmachen sollten, ist mir bis heute nicht klar. Denn in kurzen Hundebegegnungen mit fremden Artgenossen muss natürlich keine Rangordnung festgelegt werden, es geht lediglich darum, Sozialkontakt zu haben oder eben auch zu akzeptieren, wenn dieser mal nicht gewünscht ist. Lass uns doch besser verstehen, was unsere Hunde wirklich wollen, denn sie haben keine Wahl, sie müssen sich auf uns einlassen. Daher sind wir es ihnen auch schuldig, sie zu verstehen…