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Aggression: Hilfe, ich habe einen Problemhund!

Ein Artikel unserer DOGS Partnerin Lenka Schlager (Martin Rütter DOGS Mödling/St. Pölten)

Wir Menschen sind doch manchmal ein lustiges Völkchen: Wir bauen Zäune um unsere Grundstücke, jagen „Bezirksfremde“ von unseren Altstoffsammelzentren, schützen unsere Wohnsiedlungen mit Schildern wie „Durchgang für Nichtbewohner verboten“ und vertreiben natürlich jedes unbefugt parkende Auto von unserem Privatparkplatz. Ganz normal für uns und die meisten Menschen würden uns auch in diesem Handeln bestärken. Über Personen, die den Ausspruch unterstützen: „Die Welt braucht keine Zäune“ schütteln wir bestenfalls den Kopf, lächeln milde oder titulieren diese wohl am häufigsten politisch unkorrekt als Spinner. Warum also verlangen wir von unseren Hunden, dass diese es einfach dulden, wenn Artgenossen oder artfremde Individuen einfach so in ihr/unser Territorium eindringen, unsere Ressourcen nutzen oder gar einen ihnen nicht zustehenden Status annehmen?

Das Wort Aggression (aggredi – lat. = angreifen, in Angriff nehmen) ist in unserer Gesellschaft sehr negativ belegt und gleichzeitig müssen wir uns alle bewusst werden, dass aggressive Kommunikation  für unser aller Überleben notwendig ist – für Mensch und Tier. Interspezifische Aggression (also gegen Nichtartgenossen genauso wie intraspezifische Aggression (innerartliche Aggression).

Aufgrund dieser Negativbelegung lassen sich Hundehalter auch sehr lange Zeit, bis sie zum Telefon greifen und professionelle Hilfe für sich und Ihre Vierbeiner suchen. Oftmals aus Scham, denn Aggression ist ja sowas von unerwünscht in unserer Gesellschaft und wer gibt schon gerne zu, dass sein Hund aggressiv ist oder gesteht es sich sogar selber ein.

„Mein Hund ist eigentlich ein ganz Lieber, aber…“. Das ist vermutlich der Satz, mit dem viele Trainingsinteressenten ein Gespräch starten. Wenn man mich fragen würde, was im Ranking der zweitbeliebteste Satz ist, würde ich vermutlich sagen, „ich habe einen Problemhund…“.

Ich frage mich immer, was würde wohl heutzutage in Wikipedia stehen, wenn man nach „Problemhund“ googelt? Ich finde diesen Begriff genauso deplatziert wie den Begriff „Kampfhund“ und gleichzeitig findet sich der Begriff Problemhund auf ganz vielen Trainer-Seiten, oftmals verknüpft mit aggressivem Verhalten. Dabei ist ein „Problem“ immer ein sehr subjektiver Begriff, für den einen ist es ein Problem, wenn der Hund Angst vor dem Autofahren hat, für den anderen, wenn er keine Katzen mag, und für den dritten ist beides kein Problem, weil der Halter mit seinem Hund nicht fahren muss und glücklich ist, wenn der Hund die Katzen vom Grundstück vertreibt. Vielleicht wäre es für diesen Halter aber ein Problem, wenn der Vierbeiner „nur“ ein Mischling ist und keinen Stammbaum hat.

Also wie gesagt, warum belegen wir einen Stammtisch beim Wirten, warum haben höhere Angestellte in Unternehmen einen angeschriebenen Parkplatz mit Ihrem Namen – nah am Eingang – und warum sprechen wir unseren Hunden gleichzeitig Ihr Bedürfnis nach Status ab.

Denn für jedes Lebewesen ist die Erhaltung und auch die Steigerung der biologischen Grundbedürfnisse ein Überlebensprinzip. Betrachtet man also den Bedürfniskreis unserer Caniden – dazu gehören z.B. Territorialität, sozialer Status, Nahrung, Sexualität, Erziehung und Selbstschutz – wird dieser niemals ohne einen zumindest kleinen Anteil an aggressiver Kommunikation auskommen.

Natürlich kommt es immer auf die Ausprägung der gezeigten Aggression an, ob diese für den Hundehalter, den Hund und vor allem auch dem Umfeld zur Belastung oder gar Gefährdung wird. Zusätzlich stellt sich auf jeden Fall die Frage: Wo fängt aggressives Verhalten überhaupt an und welche Missverständnisse birgt Kommunikation im Generellen?

Die berühmte deutsche Verhaltenswissenschaftlerin Frau Dr. Dorit Feddersen-Petersen hat 2004 sehr deutlich anhand einzelner Stufen „Aggression“ erläutert. Diese reichen von Distanzdrohen (wie z.B. starres Fixieren über den Nasenrücken, Drohbellen…) bis hin zur Stufe 6, der ungehemmten Beschädigung (also der Intention den Gegner zu töten).

Die Gründe für gesteigerte Aggression sind sehr vielschichtig. Oftmals sind Unsicherheit, Angst, Stress oder Frustration die Ursache. Erbanlagen beeinflusst durch Zucht können hierbei natürlich eine Rolle spielen, genauso wie Umwelterfahrungen – also Sozialisierung. In welchem Ausmaß Veranlagung und Erfahrung eine Rolle spielen ist unter Gen- und Verhaltensforschern genauso ein Streitpunkt wie die  Frage ob Kinder mehr durch Genetik oder Erziehung beeinflusst werden.

Wichtiger für uns wäre herauszufinden, warum unser Hund gesteigerte Aggression zeigt – welche Bedürfnisse also wichtig für ihn sind und diese Verantwortung gezielt zu übernehmen. Unsere Hunde richtig lesen zu können, also rechtzeitig unerwünschtes Verhalten beeinflussen zu können, ist hierbei von zentraler Bedeutung.  

Denn in den allermeisten Fällen hat ein Hund – unbemerkt von seinen Menschen - vergeblich defensives Verteidigungsverhalten gezeigt, bevor er in die Offensive geht. Der Hund hat vielleicht versucht sich zurückziehen, dies war aber nicht möglich. Vielleicht  hat er durch seine Körpersprache gezeigt, dass ihm die Situation Unbehagen bereitet, die Signale wurden jedoch nicht erkannt. Manchmal hat er auch laut geknurrt und dies wurde ihm verboten.

Denn eines missverstehen wir Menschen sehr oft: NICHT wenn es laut wird, ist es haarig, sondern sehr oft lösen die leisen Signale mehr Schaden aus. Und diese beziehe ich nicht nur auf hündisches Verhalten – auch Menschen agieren oft so. Prügeleien sind oft laut – wenn es überhaupt nach lauten Tumulten dazu kommt. Messer werden zumeist leise gestoßen!

Die Stufen der Aggression nach Dr. Feddersen-Petersen

Stufe 1:

Distanzdrohen (Hinlegen, Fixieren, Zähnefletschen)

Stufe 1b:

Distanzunterschreitung mit gelegentlichem Körperkontakt (intentionales Beißen, gehemmtes Beißen, Abwehrschnappen, Weg abschneiden)

Stufe 2a:          

Drohen mit Körperkontakt (Über-Schnauze-Beißen, gehemmtes Beißen, seitliches Rempeln)

Stufe 2b:

Körperkontakt mit Einschränkung der Bewegungsfreiheit (T-Stellung, Kopfauflegen, Aufreiten)

Stufe 3a:

Gehemmte Beschädigung (Vorstoßen in Bauchraum, seitlich über den Nacken packen und zu Boden werfen, Festhalten ohne Schütteln)

Stufe 3b:

Ungehemmte Beschädigung (Beißen, Beißschütteln im Nacken-, Halsbereich bis zur Tötung)