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Angst essen Seele auf...

Für einige Hunde wird der kommende Jahreswechsel wieder einmal der absolute Horror. Der enorme Lärm an Silvester, das Knallen der Raketen und die bunten Leuchtstreifen am Himmel bereiten den Vierbeinern Unwohlsein und machen Angst. Da sich Hunde dieses Ereignis nicht rational erklären können, ist es verständlich, dass sie davor Ängste entwickeln. Was können aber Menschen tun, um die Angst ihres Hundes – egal ob vor Feuerwerk, Gewitter, anderen Lebewesen oder Mülltonnen – zu lindern?

Zunächst handelt es sich bei Angst um ein ganz natürliches Verhalten, das sogar lebenswichtig ist. Ein junger Hund, der, vor einem Abgrund stehend, nicht zögert, sondern direkt in die Tiefe springt, zeigt in dieser Situation zwar keine Angst, um ein sinnvolles Verhalten im Sinne von lebenserhaltend handelt es sich aber nicht. Eine gewisse Skepsis oder Angst gewissen Situationen, Gegenständen oder Lebewesen gegenüber ist also durchaus berechtigt und sinnvoll. Zum Problem für Hund und Halter wird die Angst erst, wenn sie übersteigert bzw. der Situation nicht angemessen zu sein scheint. Ein Hund, der beim Erblicken eines Heißluftballons am Himmel das Weite sucht und sich über Stunden nicht auffinden lässt, ist ein solches Beispiel. Angst hat verschiedene Ursachen und kann auf vielfältige Weise entstehen.

Um Ängste zu verstehen muss man überlegen, woher sie kommen. Zum einen können laute und plötzliche Geräusche wie Schüsse, ein eingeschalteter Staubsauger oder ein Feuerwerk zu einem Erschrecken mit darauffolgendem ängstlichem Gefühl beim Hund führen. Aber auch negative Erfahrungen wie Schmerzen oder Schreck führen zu Angst. Die Halter eines ängstlichen Hundes vermuten meistens, dass ihr Vierbeiner schlechte Erfahrungen gemacht haben muss, wenn ihnen die Vorgeschichte ihres Hundes nicht bekannt ist. Natürlich trifft das häufig zu, allerdings wird dieser Punkt überschätzt. Sehr viele Hunde sind ängstlich, weil sie ungenügend sozialisiert wurden, also die Welpen in der sogenannten Präge- und Sozialisierungsphase, die bis zur ca. 16. Lebenswoche dauert, nicht genügend Reize kennengelernt haben bzw. nicht die, auf die sie in ihrem späteren Lebensraum treffen. Klassisches Beispiel sind Hunde aus südeuropäischen Ländern, die irgendwo in der Pampa geboren wurden und ohne oder mit nur sporadischem menschlichem Kontakt lebten. Sie kennen weder große Autos, Trubel und Geräusche der Stadt, noch sind ihnen die verschiedensten Erscheinungsformen von Menschen bekannt. Wenn diese Hunde nun von heute auf morgen in eine deutsche Großstadt kommen, reagieren die gerade noch gelassen wirkenden Hunde oft verschüchtert, unsicher und ängstlich. Aber auch hierzulande sind Welpen oft nicht ausreichend geprägt, weil sie zum Beispiel in ihren ersten Wochen nur Frauen und Kinder, aber kaum Männer kennengelernt haben.

Oft wird Angst erst erlernt. Natürlich können auch genetische Prädispositionen eine Ursache von Angst sein. So sind manche Hunde von ihrer Erbanlage ängstlicher als andere. Es gibt große Unterschiede im Verhalten der verschiedenen Rassehunde. So neigt ein Bearded Collie viel eher zu ängstlichem Verhalten als ein Rottweiler. Aber auch innerhalb einer Rasse gibt es eine breite Variation im Ausprägungsgrad der Angst. Verpaart man zwei ängstliche Elterntiere, ist die Chance hoch, auch ängstliche Welpen zu erhalten. Dazu kommt, dass sich die Welpen das Verhalten ihrer Eltern abgucken. Merken sie, dass ihre Mutter immer zusammenzuckt und das Zimmer wechselt, wenn Frauchen den Staubsauger rausholt, werden auch die Kleinen schnell zu diesem Verhalten tendieren. Die Angst wird erlernt. Neben den Sozialisationsfaktoren ist das Thema Lernen ein wichtiger Punkt, wenn es um Ängste geht, denn häufig wird Hunden unbewusst ängstliches Verhalten antrainiert oder zumindest verstärkt, womit sich eine ängstliche Reaktionsweise im Verhaltensrepertoire festigt. Der Hund, der beim Spazierengehen einem Menschen in kompletter Motorradkleidung mit Helm begegnet, kann entweder mit Neugier, Ignoranz oder unsicherem bis ängstlichem Verhalten reagieren. Nehmen wir an, der Hund erschreckt sich, springt einen Satz zurück und läuft in einem großen Bogen vorbei zu seinem Menschen. Wenn der Zweibeiner, der die Situation beobachtet hat, nun mit tröstenden Worten auf seinen Hund einredet und ihm aufmunternd auf die Schulter klopft, kann sich der Hund in seiner Angst bestätigt fühlen. Der gut gemeinte Zuspruch in einem wohlwollenden Tonfall klingt wie Lob in seinen Ohren: „Prima, dass Du Dich so erschreckt hast. Gut hast Du das gemacht“! Außerdem erfährt der Hund, dass der für ihn merkwürdig aussehende Motorradfahrer ganz schön viel Aufmerksamkeit von Herrchens Seite bekommt, andere Spaziergänger werden nicht mit dieser Intensität beachtet. Also könnte er folgern, dass es sich bei diesem Menschen wirklich um etwas ganz Besonderes handelt, das man genauer inspizieren sollte und ruhig skeptisch betrachten kann.

Kommt man mit seinem Hund in eine solche oder ähnliche Situation, sollte man das Verhalten des Hundes ignorieren (um es nicht zu verstärken), nicht aber die Situation. So kann man bewusst Gelassenheit demonstrieren und den Hund ruhig an seine, dem Angstobjekt oder -subjekt abgewandte Seite holen. So fungiert der Mensch als eine Art Schutzwall zwischen seinem Hund und dem unheimlich anmutenden Menschen. Respektiert der Hund seinen Halter und hat auch im Alltag schon die Erfahrung gemacht, dass dieser ein zuverlässiger Partner ist, kann der Hund dann schnell wieder an Sicherheit gewinnen.

Und damit wurde auch ein weiterer Grund für ängstliches Verhalten angesprochen: die Stimmungsübertragung. Hunde reagieren sehr sensibel auf die Körpersprache und das Befinden ihres Menschen. Wird dieser nun selbst ganz hektisch und unruhig, merkt dies auch der Hund, der sich davon anstecken lassen kann. Auch wenn es manchmal sehr schwierig ist, ruhig und gelassen zu wirken, versuchen Sie es zumindest! Um die Angst seines Hundes zu lindern, kann es sehr wichtig sein zu wissen, woher sie kommt. Dementsprechend müssen verschiedene Trainingswege gewählt werden. Die absolute Voraussetzung für einen Erfolg ist allerdings, dass die Beziehung zwischen Zwei- und Vierbeiner stimmt. Denn nur wenn der Hund seinem Menschen vertraut, kann er bereit sein, die Schritte zu gehen, die es braucht um seine Angst zu überwinden.