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"Jagen - Nein Danke!"

Gerade noch lief Bello schnüffelnd neben dir her. Plötzlich ist er im Wald verschwunden. Fiffi läuft brav neben seinem Menschen. Da hebt er auf einmal den Kopf, erstarrt, Auge in Auge mit einem Reh in der Ferne. Das Reh wendet sich ab und Fiffi rast hinterher.

Und die Menschen? Denen bleibt nichts anderes übrig als zu warten, bis Bello und Fiffi mit der Glückseligkeit, die aus ihren Augen sprüht, wieder auftauchen.

Bello und Fiffi waren jagen. Aber weshalb tun sie das?
Bekommen sie bei ihren Menschen nicht alles, was sie für ein glückliches Hundeleben brauchen?
Und warum sehen sie nach jeder Jagd so zufrieden aus, obwohl sie offensichtlich keinen Erfolg hatten?

Zuerst einmal: Haushunde müssen nicht jagen, um sich zu ernähren. Jedoch macht Jagen Spaß, das Hinterherlaufen und Hetzen einer Beute hat einen selbstbelohnenden Charakter. Dieser führt auch dazu, dass Hunde geradezu nach Jagdobjekten suchen, sind sie erst einmal auf den Geschmack gekommen. Die Impulskontrolle eines Hundes, der schon einmal gejagt hat, ist auf bewegte Objekte bezogen deutlich geringer ausgeprägt, als bei Hunden, die noch nicht gejagt haben.

Anja Fiedler beschreibt die Ursache hierfür mit dem dreieinigen Gehirn nach Paul MacLean. Im Frontallappen des Gehirns laufen Informationen aus der Großhirnrinde und dem limbischen System zusammen, eine Entscheidung wird gefällt und das passende Verhalten ausgeworfen. Im Frontallappen ist die Impulskontrolle beheimatet, Emotionen können über den Frontallappen gedämpft werden. Die Schwachstelle des Frontallappens ist jedoch seine Stressanfälligkeit. Schon bei geringem Stress übernimmt das Stammhirn. Der Hund reagiert reflexiv, impulsiv und emotional, ist für den Menschen somit schlecht ansprechbar. Für das Training bedeutet dies, dass wir eine Brücke schaffen müssen, um dem Hund aus dem reflexiven, impulsiven Verhalten, welches er bei der Jagd zeigt, wieder in ein kontrollierbares, entspanntes Verhalten zu verhelfen.

Doch warum lässt sich der eine Hund gut vom Objekt der Begierde ablenken, der andere ist jedoch nicht zu bremsen? Schauen wir uns dazu die einzelnen Bestandteile des Jagdverhaltens an:

-       Orten: der Hund nimmt die Beute wahr. Dies kann geschehen, indem mit der Nase eine Fährte abgesucht oder mit den Augen die Umgebung gescannt wird. Letzterer Typ Hund neigt eher dazu, der Beute auch hinterher zu hetzen.

-       Fixieren: der Hund lässt seine Beute nicht mehr aus den Augen. Dabei verharrt er in seiner Position, um nicht von der Beute entdeckt zu werden. Manche Hunde bewegen sich auch langsam Richtung Beute. Bei den Vorstehhunden sieht man nun das typische Vorstehen – das Anheben eines Vorderlaufs.

-       Anschleichen: der Hund bewegt sich konstant in geduckter, angespannter Körperhaltung auf die Beute zu, bis er nahe genug zum Angriff ist oder die Beute flüchtet.

-       Hetzen: der Hund jagt der Beute im gestreckten Jagdgalopp hinterher. Voraussetzung für das Hetzen ist meist, dass die Beute flüchtet. Manche Rassen geben hierbei einen Spurlaut von sich, der sich durch ein lautes, hochfrequentes Jiffen kennzeichnet.

-       Packen: Ist der Hund nah genug am Beutetier, wird dieses gepackt. Je nach Größe des Beutetiers zeigt der Hund dabei unterschiedliche Verhaltensweisen. Kleine Beutetiere werden mit dem Mäuselsprung gestoppt, mittlere im Nacken gepackt und große in den Hals-Nacken-Bereich oder die Beine gebissen.

-       Töten: danach wird die Beute getötet.

-       Zerreißen: Die Beute wird in verzehrbare Stücke gerissen.

-       Fressen: Die Beute wird gefressen.

Bei unseren Haushunden, die ab und zu in Wald und Feld jagen gehen und nicht jagdlich geführt werden, sehen wir zumeist nur die Elemente OrtenFixierenAnschleichenHetzen.

Die einzelnen Elemente können wie Puzzleteile betrachtet werden, die je nach Rasse und Veranlagung unterschiedlich groß sind. Es gilt nun für jeden Halter herauszufinden, welches Puzzleteil bei seinem eigenen Hund groß ist, was dem Hund besonders wichtig ist, denn nur dann kann er beginnen, dem Hund Alternativen zu bieten, die selbstbelohnend für den Hund wirken und genauso viel Spaß machen wie das Jagen, denn nur dann handelt es sich um echtes Alternativverhalten für den jeweiligen Hund.

Hier einige Beispiel für Alternativverhalten bei den einzelnen Elementen des Jagdverhaltens (Anja Fiedler):

Orten:

-       Futtersuche

-       Abgänge von Fährten/Schleppen suchen

-       Targets suchen

Fixieren:

-       Lauerspiel

-       Vorstehen/Belauern an der Reizangel

Anschleichen:

-       Lauerspiel ausbauen

-       Beschleichen an der Reizangel

Hetzen:

-       Hetzspiel mit Futterbrocken

-       Hetzen an der Reizangel

-       Spielbeute werfen

-       Verlorensuche

-       Fährtentraining

Packen:

-       Apportieren

-       Zerrspiele

-       Futterbrocken aus der Luft schnappen

Töten/Zerreißen/Fressen:

-       Verpacktes Futter auspacken und zerreißen

-       Sich Spielbeute um die Ohren schleudern

Unser Ziel ist es, die Puzzleteile OrtenFixieren- Anschleichen zu vergrößern, und damit ein Zeitfenster vor dem Hetzen zu erlangen, das es uns ermöglicht, das Hetzen zu verhindern und stattdessen das Verhalten des Hundes in eine Aktivität mit uns Menschen umzulenken. Dazu ist es allerdings wichtig, dass das unerwünschte Verhalten des Hetzens verhindert wird. Der Hund sollte auf Spaziergängen mit einer Schleppleine gesichert werden.

Neben der typgerechten Auslastung des jagenden Hundes darf aber das Impulskontrolltraining nicht zu kurz kommen. Dieses sollte nicht nur im jagdlichen Zusammenhang trainiert werden, sondern in alltäglichen Situationen, wie dem Aussteigen aus dem Auto, dem Überqueren der Straße oder dem Abstellen des Futternapfes. Hierbei kann einmal mit Signal „Bleib“ trainiert werden, sinnvoll ist es aber wo möglich ohne Signal zu trainieren und den Hund für Abwarten und ruhiges Verhalten zu belohnen.

Um die Lücke vor dem Puzzleteil Hetzen optimal zu nutzen, ist ein zuverlässiger Rückruf essentiell. Eventuell muss dieser mit einem neuen Signal noch einmal aufgebaut werden. Auch das Anhalten auf Signal ist ein elementarer Bestandteil des Trainings bei unerwünschtem Jagdverhalten.

Da der Hund sich an der Schleppleine nicht vollständig frei bewegen kann, sollte man ihn zusätzlich durch Joggen, Fahrradfahren oder Zughundesport körperlich auslasten. Denn Jagen beinhaltet immer auch körperliche Auslastung – wir denken da nur an den Jagdgalopp beim Hetzen der Beute.

Wenn wir nun unseren Jäger körpersprachlich einschätzen können, rechtzeitig erkennen, wann er jagen geht und frühzeitig eingreifen und das Verhalten umlenken, können wir nach und nach auch die Schleppleine wieder abbauen. Dazu kürzen wir die Schleppleine Stück für Stück, bis wir sie am Ende nicht mehr benötigen.

Wer nun noch mehr über Jagdverhalten und dessen Ausgleich erfahren möchte, für den empfiehlt sich das Buch:

Anja Fiedler, Jagdverhalten verstehen, kontrollieren, ausgleichen
Verlag: Kosmos
ISBN 978-3-440-14953-9