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Mein Hund, der Flüchtling

Conny Sporrer über Sinn und Unsinn von Auslandstierschutz

Abbey vor 7 Jahren im Tierauffanglager in Nitra (SK)

Abbey (knapp 13 J.) und ich heute

Nicht allen Hunden ist mit einer "Rettung" wirklich geholfen

Ringo - ein ehem. Straßenhund ist heute Diabetikerwarnhund für die kleine Sarah

In der ukrainischen Stadt Odessa wurde ein modernes Tierschutz- und Kastrationszentrum errichtet. Dort werden Straßenhund kastriert und wieder frei gelassen

Die Kastrationen in Odessa erfolgen nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit kleiner Schnittführung und resorbierbarem Nahtmaterial. Tierärzte aus anderen Städten können sich vor Ort in dieser Operationstechnik weiterbilden

Seit nunmehr sieben Jahren lebe ich mit Abbey, einer afrikanischen Slowakin – zwangsimmigriert nach Österreich. Ihre slowakische Familie hatte ihr nicht weiter Asyl gewährt und sie dann in ein Auffanglager gebracht. Tagelang hat sie Essen und Trinken verweigert um letzten Endes nach Österreich zu gelangen, in der Hoffnung auf bessere Perspektiven. Mein Hund, ein Wirtschaftsflüchtling vor dem Herrn?

Abbeys Integrationsbereitschaft hält sich bis heute noch in Grenzen. Gerade was das Klima hierzulande betrifft ist ihre Anpassungsfähigkeit quasi gleich null. Und auch sonst verhielt sie sich viele Jahre, wie man es ihrer Rasse im ehemaligen Rhodesien jahrhundertelang angezüchtet hat: Territorial, skeptisch und sehr selbständig.

Mit viel Training, Empathie und Durchhaltevermögen gelang es mir aus Abbey einen total gesellschaftstauglichen, coolen Hund zu machen. Unser Leben gibt nun mal gewisse Spielregeln vor, die für Hund und Mensch in der Umsetzung einfacher sind, wenn sie ordentlich trainiert wurden.

GUT GEMEINT IST NICHT IMMER GUT

Mein Leben lang habe ich ausschließlich Hunden aus dem Tierschutz die Chance gegeben, dies wird auch für den Rest meines Lebens so bleiben. Wieso sollte ich als Hundetrainerin meine Vorbildfunktion in dieser Sache nicht nutzen und beweisen, wie viele tolle Hunde völlig ungerechtfertigt in Heimen, Tötungen oder sonstwo landen, egal ob im In- oder Ausland.

"Liebe allein macht Hunde nicht glücklich"

Dennoch bin ich im Hundetraining immer wieder mit Vierbeinern konfrontiert, denen mit ihrer „Rettung“ mit Sicherheit kein Gefallen getan wurde. Wer jahrelang in der Pampa als Selbstversorger ohne Kontakt zu Menschen gelebt hat, wird im ersten Wiener Gemeindebezirk nicht glücklich...übrigens auch nicht in Döbling oder Simmering. Leider gibt es Organisationen die es mit dem Tierschutz zu gut meinen und nicht hinterfragen, ob die neue Lebenssituation für den Hund tatsächlich eine Verbesserung darstellt. Liebe allein macht Hunde nicht glücklich. Wir erleben manchmal Hunde die wochenlang nicht hinterm Sofa hervorkommen, weil sie im Zusammenleben mit Menschen in unserer Gesellschaft völlig überfordert sind. Ehrlich gesagt: Da hätte ich ihnen lieber ein paar kürzere Jahre als Straßenhund gewünscht, als ein Leben in purem Stress und unter permanenter Überforderung von Reizen, die diese Tiere niemals kennengelernt haben.  

Natürlich gibt es auch zahlreiche tolle Beispiele von Hunden die sehr wohl mit Menschen sozialisiert sind, weil sie z.B. immer von ihnen gefüttert wurden und positive Sozialkontakte mit ihnen hatten. Vor ein paar Jahren landete der ehemalige ungarische Straßenhund „Ringo“ bei uns im Training. Er wurde zum Diabetikerwarnhund ausgebildet und lebt glücklich bei einer Familie in der Steiermark.

AUSTRIA FIRST?

Oft höre ich aber auch: „Wir haben genug arme Hunde in den österreichischen Tierheimen, da brauchen wir nicht noch weitere ins Land holen!“. Eine Aussage, die gerade in diesen Zeiten, sehr an die Diskussion um Flüchtlinge erinnert. Und hey, objektiv betrachtet ist das sicher richtig. Aber ehrlich gesagt gibt es in dieser Frage nicht nur rationale Argumente, sondern auch stark emotionale. So arm Hunde in den österreichischen Tierheimen auch sein mögen, wer einmal in einer Tötung oder Abdeckeinrichtung war, weiß wem wirklich zu helfen ist. Ich persönlich mache einfach keinen Unterschied daraus, ob ich einem griechischen, rumänischen oder österreichischen Hund helfe. Ich helfe einfach jenem, der es am dringendsten benötigt. Und gerade in Ländern, in denen eine völlig andere Tierschutzmoral gilt als in Österreich, halte ich dies für umso wichtiger.

Ich glaube also nicht, dass wir das Thema lösen können indem wir die Augen zumachen, eine „Austria First“-Moral walten lassen und ignorieren was außerhalb Österreichs mit Hunden passiert – was wir aber tun sollten und auch können, ist konstruktiv daran zu arbeiten die Situation vor Ort auch nachhaltig zu verbessern. 

TIERSCHUTZ VOR ORT

Ungefragt wird sich die Tierschutzsituation in diesen Ländern aber nicht ändern, wenn wir die Hunde einfach nur „retten“ und vor Ort nichts dafür tun um die Situation zu verbessern. Ganz im Gegenteil: Ein Grundgesetz der Biologie – die sog. „Holding Capacity“ – besagt, dass das Angebot an Nahrung, Wasser und Territorium in jedem Lebensraum nur für eine gewisse Anzahl von Tieren derselben Art ausgerichtet ist. Innerhalb dieses Lebensraums stellt sich also ein Gleichgewicht ein. Werden die Tiere weniger (z.B. durch Tötungen oder Einfangen), bietet der Lebensraum automatisch eine neue Grundlage für mehr Geburten bzw. steigert die Überlebensmöglichkeit für ausgesetzte Tiere. Das bedeutet also, dass sowohl das Fangen und Töten von Tieren, als auch das alleinige „Retten“ und Vermitteln mittelfristig nicht zur Lösung der Problematik führt.

Die Tierärztin Dorothea Friz (Verein „Lega pro Animale“) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Tierschutzarbeit in Italien und hat eine spezielle Methodik für Kastrationsprojekte entwickelt. In einer von ihr erstellten Statistik, zeigt sich ganz deutlich wie sich die Populationsentwicklung von Straßenhunden mit den unterschiedlichen Vorgehensweisen entwickelt.

Die Senkung der Fruchtbarkeit durch systematisches Einfangen, Kastrieren und Wiederfreilassen gesunder Straßenhunde vor Ort ist also ein wichtiger Beitrag um nachhaltig Verbesserungen zu erzielen.
(Hunde aus dem Ausland – Udo Gansloßer (Hrsg.) 

Weitere sinnvolle Maßnahmen zeigt ein Beispiel aus der ukrainischen Stadt „Odessa“.  Dort lebten laut Behörden rund 70.000 Straßenhunde. Durch lange intensive Verhandlungen mit Politik und den Behörden vor Ort, gelang es dem Deutschen Tierschutzbund 2005 ein Tierschutz- und Kastrationszentrum zu errichten, um die vormals durch die Stadt initiierten Tötungen der Hunde zu stoppen und die Anzahl der Straßenhunde auf eine tierschutzkonforme Art und Weise zu verringern. Neben der systematischen Kastration der Straßenhunde, betreibt das Tierschutzzentrum vor Ort aber vor allem Aufklärungsarbeit: Einerseits indem das Projekt anderen Ländern, Städten und Gemeinden als Vorlage dient – alljährlich finden Konferenzen für Wissenschaftler und Behörden statt – andererseits indem die Bevölkerung auf das Thema Tierschutz sensibilisiert wird. Neben Beiträgen in Radio, TV und Zeitungen kooperiert das Tierschutz- und Kastrationszentrum mit Kindergärten, Schulen und einem Waisenhaus, um den Nachwuchs von Beginn an mit der Thematik vertraut zu machen.

Nähere Infos dazu auch unter: www.tierschutzbund.de

ZUSAMMENGEFASST

Auslandstierschutz ist eines der emotionalsten und am kontrovers diskutiertesten Themen wenn es um Hunde geht. Das hat mit Sicherheit damit zu tun, dass es leider nicht DIE Universallösung gibt und es vor Ort oft auch an Geld, Personal und Zeit fehlt um Tierschutz effektiv betreiben zu können. Dennoch möchte ich zum Schluss noch einmal eine Lanze für Hunde aus dem Tierschutz/Tierheim brechen, da viele Menschen ja gerne helfen möchten, aber Angst davor haben, es automatisch mit traumatisierten Problemhunden zu tun zu haben: Die Statistik an „Problemfällen“ die bei uns im Training landen, hält sich zwischen gekauften Hunden vom Züchter und Hunden aus zweiter Hand absolut die Waage. Das hat damit zu tun, dass ebenso viele Züchter ihre Hunde leider oft aus Unwissen viel zu schlecht auf ihr späteres Leben vorbereiten. In der wichtigen sensiblen Sozialisierungsphase, etwa zwischen der 4. und 8. Lebenswoche, sind die Welpengehirne noch aufnahmefähig wie ein Schwamm und aufnahmebereit für alle möglichen Reize wie Menschen, Gerüche, Geräusche. Alles was sie in dieser frühen Phase (und bis hin zur 16. Woche) nicht kennenlernen, wird im späteren Leben in der Gewöhnung wesentlich schwieriger. Wächst ein Welpe also in idyllischer Umgebung auf einem Hof im Salzburger Tennengau auf, wird er sich fühlen wie ein Neandertaler in New York City, wenn er mit drei Monaten das erste Mal in eine Stadt kommt und dort bei seiner Familie einzieht. Steckt da keine starke Persönlichkeit dahinter, kann so ein Hund die gleichen Defizite mitbringen wie ein schlecht sozialisierter bosnischer Straßenhund. Keinesfalls möchte ich hier die vielen seriösen Züchter schlecht machen, die ihre Aufgabe sehr ernst nehmen. Ich möchte lediglich Bewusstsein dafür schaffen, dass man jeden Einzelfall doch genauer betrachten und Lebewesen nicht ihrer Herkunft nach in Schubladen stecken sollte. Das gilt natürlich für Zwei- und Vierbeiner.

Ein neuer Hund zieht bei Euch ein und Ihr wollt von Anfang an richtig auf ihn vorbereitet sein? Dann nutzt doch unser Angebot für eine Erstberatung „Ein neuer Hund zieht ein!“. In einem einstündigen Termin, beraten wir Euch gerne bereits vor dem Einzug des Hundes. Damit einem harmonischen Zusammenleben von Anfang an nichts im Wege steht.

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