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Pubertät beim Hund

Wenn die Halter anstrengend werden...

Nennst Du ein PuberTIER Dein eigen? Dann haben wir einige Tipps für Dich...

Bis vor kurzem war der eigene Hund noch ein niedliches Fellknäuel, das sich vorbildlich benommen hat und der Streber in der Hundeschule war. Und plötzlich, über Nacht ist aus dem süßen Rudi ein halbstarker Raudi geworden, der nicht nur seinen Namen vergessen hat, sondern auch nicht mehr weiß, was das Signal "Hier" oder "Fuß" bedeutet. Der scheinbar auch jedes Benehmen gegenüber Artgenossen verlernt hat und seine Halter täglich wahnsinnig macht. Willkommen in der wohl schwierigsten Phase der (Hunde-)Erziehung - der Pubertät.

In dieser Lebensphase wird alles nochmal auf seine Tauglichkeit für die eigenen Lebensumstände hin überprüft. Die biologische Funktion der Pubertät bzw. Adoleszenz besteht darin, den Hund auf zwei zukünftige Szenarien vorzubereiten. Entweder er verbleibt in seiner bisherigen Gruppe und fügt sich in diese ein oder er wandert ab und gründet eine eigene Familie bzw. schließt sich einer bestehenden Gruppe an. So anstrengend der pubertierende Junghund auch sein mag, er kann nichts für sein momentanes Verhalten. Er ist das Opfer massiver Umbauarbeiten in seinem Gehirn.

Genau genommen müsste man zwei verschiedene Begriffe voneinander trennen: die Pubertät und die Adoleszenz.

Die Pubertät ist ein Teil der Adoleszenz, und zwar derjenige, in welchem die Geschlechtsreife erreicht wird. Der Hund ist dadurch aber noch lange nicht erwachsen. Es schließt sich die lange Phase der Adoleszenz, des Heranwachsens an, ein Übergangsstadium in der Entwicklung von der Kindheit zum Erwachsensein, währenddessen ein Mensch oder ein Tier zwar biologisch gesehen zeugungsfähig und körperlich so gut wie ausgewachsen, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift ist.

Die Pubertät beginnt nach der Welpenzeit mit dem Zahnwechsel, welcher zwischen dem vierten und siebten Lebensmonat stattfindet. Dabei fallen die Milchzähne aus und die 42 verbleibenden Zähne kommen durch. Die beiden Entwicklungsphasen, Pubertät und Adoleszenz, sind nicht konkret voneinander trennbar und gehen oft nahtlos ineinander über.

Der Eintritt in die Pubertät und die Dauer der Adoleszenz variieren individuell und rasseabhängig. Wirklich ersichtlich für den Halter wird die Pubertät meist zwischen dem 6. und 12. Lebensmonat. Bei der Hündin ist sie durch ihre erste Läufigkeit erkennbar. Beim Rüden ist das vermehrte Beinheben während des Urinierens, sein plötzliches Interesse für die Markierungen anderer Hunde sowie eine Tendenz zum rüpelhaften Spiel ein untrügliches Kennzeichen der beginnenden Pubertät. Beim kleinen Hund beginnt die Pubertät früher und die Adoleszenz ist früher abgeschlossen. Ein Herdenschutzhund hingegen kann schon mal vier Jahre brauchen, bis er wirklich erwachsen ist. Rüden sind langsamer als Hündinnen. Auch der Ernährungszustand und das Vorhandensein von Stress kann den Anfang der Pubertät beschleunigen oder verzögern. Nur wenn genügend körperliche Reserven vorhanden sind und sich der Hund in einer sicheren Umgebung befindet, lohnt sich der Eintritt in die Geschlechtsreife.

Erst nach der Adoleszenz, die rasseabhängig bis zu drei oder vier Jahren dauern kann, ist der eigene Hund körperlich und geistig voll erwachsen.

Alles verändert sich...

In der Pubertät bzw. Adoleszenzphase spielt sich im Inneren des Hundes eine ganze Menge ab. Es finden im Gehirn wahnsinnig viele "Umbauarbeiten" statt, ja man kann sagen, das Hirn wird zur Großbaustelle. Damit verbunden sind viele Veränderungen.

Auf Umweltreize wird empfindlicher und intensiver reagiert. Dies bedeutet, dass Reaktionen eben oftmals emotionaler ausfallen. Dies ist leider ein guter Nährboden für Angst- und Aggressionsverhalten. Es zeigen sich oft Ängste im Bereich der Trennungsangst und Geräuschempfindlichkeit.

Die Großhirnrinde, in der bewusste Vorgänge, kognitive Prozesse, planvolles Handeln, willkürliche Ausführung von Bewegungen etc. verarbeitet werden, baut Synapsen ab. Diese Synapsen sind Kontaktstellen zwischen Zellen und dienen der Signalübertragung und der Speicherung von Informationen. Hier lautet die Devise: Use it or loose it. Nur Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, die auch weiterhin benutzt werden, bleiben vorhanden, ansonsten werde diese unwiderruflich abgebaut.

Das bedeutet, dass bereits erlernte Signale, wie zum Beispiel "Sitz" erneut geübt und vor allem auch positiv mit Futter verstärkt werden müssen. Sonst "verlernt" der Hund die Bedeutung des Signals. Nicht anders verhält es sich mit Umweltreizen. Ist der Welpe beispielsweise zweimal mit dem Lift gefahren, dann aber lange Zeit nicht mehr, kann die Erfahrung für den pubertierenden Junghund neu sein. Damit dies nicht passiert, sollte die Sozialisierung kontinuierlich über die Welpenzeit hinaus stattfinden.

Dass der Teil des Gehirns, der Impulse kontrolliert, Handlungen plant und die Folgen von Handlungen abschätzt, erst später ausreift, bedeutet, dass der pubertierende Hund all das vorübergehend nicht leisten kann. Impulskontrolle und Risikoabschätzung fallen den pubertierenden Junghunden also besonders schwer.

Während der Pubertät kommt es auch zu einer starken Erhöhung der Produktion des Stresshormons Cortisol, wodurch die erhöhte Stressanfälligkeit in dieser Zeit erklärlich wird. Daher kann es auch passieren, dass der Hund in seiner Welpenzeit beispielsweise mit dem Brustgeschirr keinerlei Schwierigkeiten hatte und plötzlich der Meinung ist, Geschirrtragen sei gruselig. Die Körperoberfläche ist in dieser Zeit wesentlich sensibler.

Gesteigertes Neugierverhalten hat zur Folge, dass das Belohnungssystem viel leichter erregbar ist. Selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen größeren Stellenwert. Dem Hund fällt es schwerer, von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen abzulassen.

Dies sind die Gründe, warum der Hund für uns schwieriger einzuschätzen und zu kontrollieren wird, denn er reagiert emotionaler, wirkt auf seine Bezugspersonen unkonzentrierter und gereizter. Seine emotionale Erregbarkeit ist leichter auslösbar und er zeigt Veränderungen im Verhalten auf ihm bekannte Reize. Trennungsstress kann auf einmal wieder zur Herausforderung für eine Familie werden, obwohl man dachte, der junge Hund hätte das Alleinebleiben schon bestens gelernt.

Das Spielverhalten des Junghundes verändert sich, was bedeuten kann, dass er forscher oder gar wählerischer in der Auswahl seiner Freunde wird. Konkurrenzverhalten tritt auf, sei es im Zusammenhang mit Sexualverhalten oder auch anderen Ressourcen. Der Hund fängt an sich abzunabeln und das Neugier- und Erkundungsverhalten steigert sich. Ebenso kann das Jagdverhalten zum Vorschein treten. Das Risikoverhalten der jungen Wilden ist ausgeprägter und sie können Gefahren schwerer einschätzen. Der junge Hund ist stressanfälliger und somit sind auch seine Reaktionen auf Stressoren intensiver! Und Stress können nun ganz alltägliche Dinge verursachen.

Was ist im Zusammenleben während der juvenilen Phase zu beachten?

Den Veränderungen im Verhalten während der Junghundentwicklung liegen Veränderungen in der Innenwelt des Hundes zugrunde. Trotzdem oder gerade deswegen ist Training in dieser Phase wichtig. Dem Prinzip "use it or loose it" folgend (siehe oben), müssen sowohl Grundsignale als auch Regeln gefestigt (bzw. erneut vermittelt) werden als auch die verschiedenen Umweltreize weiterhin dargeboten werden.

Dies bedeutet:

  • Grundsignale, wie Sitz, Platz, Bleib etc., nochmal durch positive Verstärkung festigen
  • Bestehende Regeln einfordern bzw. erneut vermitteln
  • Sozialisierung fortsetzen und die Gewöhnung an Umweltreize wiederholen: Lift fahren, U-Bahn/Bus/Straßenbahn fahren, Menschen (Kinder, alte Leute mit Gehhilfe etc.) kennenlernen, Einkaufszentrum besuchen etc.
  • Sicherheit gewährleisten und Schutz bieten
  • Territoriale Verantwortung übernehmen, der Mensch geht immer dort voraus, wo potentielle Gefahren lauern könnten (z.B. durch die Haustür, an der Kreuzung etc.)
  • Der Hund wird an der Schleppleine gesichert, um zu verhindern, dass er unerwünschtes Verhalten zeigen kann.
  • Üben deszuverlässigen Rückrufs
  • Abschalttraining
  • Frustrationstoleranz und Impulskontrolle auch weiterhin üben
  • Geistige und Körperliche Auslastung des Hundes
  • Kontakt eher zu älteren Artgenossen herstellen lassen und Kontakte kontrolliert ablaufen lassen: Rüden sollen nun also zum Beispiel nicht lernen, ihre männlichen Artgenossen anpöbeln zu dürfen und / oder Hündinnen zu belästigen. Hündinnen sollen nicht die Erfahrung machen müssen, ständig von aufdringlichen Rüden belästigt zu werden und dabei keine Hilfe ihrer Menschen zu bekommen.

Wichtig ist es, sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass der Hund das nicht tut, um seinen Halter zu ärgern! All diese Veränderungen im Verhalten sind ein physiologisch völlig normaler Ablauf und dem Hormoncocktail, den Hund gerade genüsslich zu sich nimmt, geschuldet. Wut auf den ignoranten Hund ist also zwar verständlich, hilft aber nicht weiter. Geduld und Verständnis sind wichtig, auch wenn das leichter geschrieben als getan ist.

Trotzdem: Bleib konsequent, biete Deinem Hund Sicherheit, Orientierung und Führung, die er so dringend benötigt. Vermeide eine Kastration in dieser Entwicklungsphase, da ansonsten die dringend benötigten körperlichen wie geistigen Veränderungen hin zum erwachsenen Hund nicht stattfinden können. Im schlimmsten Fall hast Du ansonsten einen lebenslang pubertierenden Hund an der Leine.

Und das Beste zum Schluss: Irgendwann ist auch diese Entwicklungsphase einmal vorbei! 


Hier geht's zur Themenstunde "Junghunde" bei Martin Rütter DOGS Wien.

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