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Gelistet! Hunde, von Geburt an stigmatisiert…

Interview mit meinem lieben Kollegen Sven Sandau Martin Rütter DOGS Berlin

Es gibt viele verschiedene Hunderassen, die sich nicht nur im Aussehen unterscheiden, sondern auch alle unterschiedliche Eigenschaften und Charaktere haben.

In der Regel werden Rassen mit ähnlichen Eigenschaften zu Rassegruppen zusammengefasst. So gehören der Labrador Retriever, der Deutsch Kurzhaar und der Weimaraner zu den Jagdhunden, der Border Collie, der deutsche Schäferhund und der Bearded Collie zu den Hütehunden. Was sind aber eigentlich sogenannte „Listenhunde“? Und ist eine solche Einteilung überhaupt sinnvoll? Werden die zu solchen Listen zugehörigen Hunde damit nicht von Geburt an stigmatisiert, ohne dass wirklich erwiesen ist, dass sie beispielsweise besonders gefährlich sind? Wir haben mit Sven Sandau von Martin Rütter DOGS Berlin über dieses immer wieder aktuelle Thema gesprochen.

 

Listenhunde, woher kommt dieser Begriff eigentlich?

Es werden Listen erstellt, in denen bestimmte Hunderassen per se vom Gesetz als gefährlich eingestuft werden. Ausgang hierfür war in Deutschland der Angriff von zwei Hunden auf ein Kind im Jahr 2000, der tödlich endete. In den einzelnen Bundesländern wurden daraufhin Hundeverordnungen erlassen, in deren Anlage (daher z. T. auch die Bezeichnung „Anlagehund“) dann bestimmte Rassen als potentiell gefährlich eingestuft wurden. Die Haltung dieser Hunde wurde mit besonderen Auflagen versehen. Beim Menschen kann das z. B. Volljährigkeit, Vorlage eines Führungszeugnisses und Bestehen einer Sachkundeprüfung beinhalten, beim Hund Leinen- und Maulkorbzwang, Bestehen eines Wesenstestes sowie eine besondere Genehmigung zur Haltung. Die Rasselisten unterscheiden sich allerdings von Land zu Land und von Bundesland zu Bundesland. Das bedeutet in der Praxis, dass man in Deutschland beim Passieren der Grenze von einem zum anderen Bundesland auf einmal einen sogenannten „gefährlichen Hund“ hat und z. T. den jeweiligen Auflagen (z. B. der Maulkorbpflicht) unterliegt. Daher sollte man sich bei Reisen immer rechtzeitig über die jeweils gültigen Bestimmungen unterwegs und vor Ort erkundigen.

 

Macht es denn überhaupt Sinn, solche Rassehundelisten aufzustellen?  Kann man Hunde ausschließlich anhand ihrer Rassezugehörigkeit als „gefährliche Hunde“ einordnen?

Nicht nur Martin Rütter DOGS, auch viele andere anerkannte kynologische Institutionen kritisieren die Erstellung solcher Rasselisten. Kein Hund ist „von Geburt an“ gefährlich. Vielmehr kommt es darauf an, wie ein Hund von Welpe an gehalten, aufgezogen und erzogen wird. Viel sinnvoller als die Einführung von Rasselisten wird daher der Hundeführerschein angesehen, damit die Menschen lernen, was die Bedürfnisse von Hunden sind, worauf sie bei der Haltung von Hunden achten müssen und wie sie körpersprachliche Signale erkennen und damit gefährliche Situationen vermeiden können. Die Gefährlichkeit eines Hundes kann immer nur individuell in Bezug auf den jeweiligen Hund eingeschätzt werden. Daher bringt die Erstellung solcher Rassehundelisten nicht mehr Sicherheit, denn wie man in vielen Beißstatistiken auch sehen kann, sind sehr oft Hunde in Beißvorfälle verwickelt, die gemeinhin als „leicht erziehbar“ und als Hunde mit großer sozialer Motivation eingestuft werden, wie beispielsweise Retriever oder Schäferhunde. In drei Bundesländern in Deutschland gibt es sogar gar keine Rasseliste bzw. wurde diese wieder abgeschafft. Niedersachsen ist da meiner Meinung nach ein gutes Vorbild im Umgang mit Hunden allgemein und ihren Haltern. Dort gibt es keine Rasseliste, alle Hunde werden gleich behandelt. Die Beißstatistik gibt dem Bundesland insofern Recht im Umgang mit den sogenannten Listenhunden, denn diese rangieren auf den hinteren Plätzen.

 

Und was ist mit dem Begriff „Kampfhund“, den man im Zusammenhang mit diesen Hunden immer wieder hört?

Kampfhunde gibt bzw. gab es tatsächlich: Es handelte sich dabei um Hunde, die insbesondere für Tierkämpfe gezüchtet wurden. In sehr frühen Zeiten ließ man Hunde gegen Bären, Löwen oder Bullen kämpfen. Später ließ man dann auch Hunde gegeneinander kämpfen. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Pitbull“ (Pit = Kampfplatz). Die Rasse „Pitbull“ gibt es im Übrigen gar nicht, es gibt lediglich den „American Pit Bull Terrier“, der jedoch weder FCI noch VDH anerkannt ist. Wenn ein Hund auf Grund seines Phänotyps, also seines äußeren Erscheinungsbildes, als „Pitbull“ bezeichnet wird, ist das für mich daher schon eine Diskriminierung. Dabei war aggressives Verhalten gegenüber Menschen bei den Hunden im Kampfring absolut unerwünscht, da sich dort auch Richter befanden, welche die Hunde z. T. anfassen oder hochheben mussten. Daher war ein Angriff gegen Menschen sogar ein zuchtausschließendes Kriterium!
In der heutigen Zeit sind Hundekämpfe in den meisten Ländern zum Glück offiziell verboten, finden in kriminellen Kreisen aber leider immer noch statt. Seit der Einführung von Rasselisten wird der Begriff Listenhund jedoch leider oft mit dem Begriff Kampfhund gleichgesetzt und hat seitdem eine sehr negative Bedeutung. 

Muss man bei der Haltung und Ausbildung dieser Hunde denn etwas Besonderes beachten? Welche Eigenschaften machen Hunde aus, die in diese Kategorie einsortiert werden?

Es handelt sich meistens um doggenartige Hunde. Diese Hunde sind in der Regel bullige, muskulöse Hunde, die sich ihrer Kraft durchaus bewusst sind. Sehr häufig sind es selbstbewusste, selbstständige Hunde, mit einer stark ausgeprägten Territorialität. Konsequenter Umgang mit Aufstellung von Regeln, gute Erziehung und Sozialisierung sowie ausreichende geistige, aber insbesondere auch körperliche Auslastung sind bei der Haltung wichtig. Da sie nicht so sensibel sind und eine hohe Reizschwelle haben, also nicht sofort auf jeden Reiz reagieren, eignen sie sich, wenn man sich an die oben genannten Regeln hält, durchaus auch als Familienhund, sind jedoch aufgrund ihrer Kraft eher für Familien mit größeren Kindern geeignet. Aufgrund des reduzierten Drohverhaltens sollte man Kind und Hund jedoch immer im Blick haben, um gegebenenfalls eingreifen zu können. Das gilt aber letztlich auch für jeden anderen Hund.

 

Hast du selbst persönliche Erfahrungen mit Hunden dieser Rassen?

Meine persönlichen Erfahrungen mit Hunden dieser Rassen sind durchwegs positiv. Sammy, meine Staffordshire Bullterrier Hündin, führte ich vor Jahren im Agility in Wettbewerben und wir erreichten viele vordere Plätze. Diese Hunde sind sehr gelehrig und sehr auf den Menschen bezogen. Sie versuchen immer wieder ihrem Menschen zu gefallen (will to please). Mein heutiger „Co-Trainer“ Mick, ein American Staffordshire Terrier, begleitet mich seit Jahren im Hundeschulbetrieb. Dort fungiert er auch gern mal als Testhund und demonstriert Gelassenheit bei Haltern mit ihren Hunden, die mit einer sogenannten Leinenaggression ins Training kommen und Hilfe suchen.