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Mit aller Konsequenz?

Wie wichtig Konsequenz für die Hundeerziehung ist und ob unsere Vierbeiner auch ohne Regeln glücklich werden können, lesen sie hier.

Hand aufs Herz: Bestimmt waren Sie in Ihrem Leben schon einmal inkonsequent. Egal ob Ihre Kinder nun doch länger wach bleiben durften, als sie eigentlich sollten, oder Sie mal wieder die Arbeit eines Kollegen übernommen haben, obwohl dieser eigentlich dafür zuständig ist – konsequent zu sein erfordert viel Disziplin! Wie wichtig Konsequenz für die Hundeerziehung ist und ob unsere Vierbeiner auch ohne Regeln glücklich werden können, lesen sie hier.

Spätestens wenn Aaron mal wieder den Garten umgräbt, sich beim gemütlichen Spaziergang auf Jagdkurs begibt oder am Schritt des Gastes schnüffelt, wird man daran erinnert, dass eine solide Hundeerziehung ihre Vorteile hat. Erziehungs-Neandertaler reden zwar heute noch von „ordentlichem Grundgehorsam“ und altertümlicher „Unterordnung“, dass Erziehung aber immer mit Beziehung zu tun hat und Beziehung nicht durch das Erlernen von Kommandos entsteht, kann nicht oft genug betont werden. Eine klare Sozialstruktur mit festen Regeln, in der jeder weiß, was er zu tun hat, führt automatisch zu einem gut erzogenen Hund und der optimalen Mensch-Hund-Beziehung – dem perfekten Gemisch aus Respekt und Vertrauen.

Erziehung vs. Dressur

Auch wenn es jetzt vielleicht ernüchternd klingt: Monatelange Besuche am „Abrichteplatz“, bei denen Sitz, Platz, Fuß, Bleib im Akkord und bis zur Perfektion geübt werden, haben nichts mit Erziehung zu tun. Auch wenn Ihr Hund noch so verlässlich liegen bleibt, sagt dies nicht zwingend etwas über eine gute Beziehung zu Ihnen aus. Um es verständlicher zu machen, probieren Sie bitte beim nächsten Frühstück Folgendes aus: Setzen Sie sich mit Ihrem Wurstbrot in der Hand auf den Boden. Wenn Ihr Hund jetzt angelaufen kommt, sagen Sie nichts, Sie dürfen ihn auch nicht berühren. Ihre Augen fixieren ihn bei der Annäherung aber schon streng. Nimmt Ihr Vierbeiner nun das Tempo zurück, wendet sich leicht ab und hält dann vor Ihnen an, ohne an das Brot zu gehen: Gratulation, Sie haben alles richtig gemacht! In den meisten Fällen funktioniert dies aber nicht und Bello hat das halbe Brot bereits abgeleckt, bevor Sie überhaupt an ein Fixieren denken können. Hunde haben leider gelernt, uns Menschen als plumpe, kommunikativ unsensible und paradoxe Begleiter wahrzunehmen. Menschen tendieren bei diesem Experiment in der Regel erst dazu, das Brot hochzuheben, den Hund wegzuschieben und ihn mit einem strengen „Nein!“ abzuhalten. Sie reagieren also, anstatt frühzeitig zu agieren. Dazu ein Beispiel aus der Hundewelt. Stellen Sie sich vor, ein ranghoher Hund knabbert genüsslich an einem Knochen. Ein halbstarker Artgenosse kommt ungebremst angerannt und versucht, sich den Knochen zu schnappen. Wir sind uns wohl einig, dass der fressende Hund seinen Knochen nicht mit „Nein, Aus, Pfui!“ in Sicherheit bringen würde, sondern schon auf Distanz zeigt, dass es keine gute Idee wäre, ihm näher zu kommen. Und das nicht aus Herrschsucht und Machtbestreben, sondern weil konsequenterweise eine Regel eingehalten werden soll, nämlich: „Lass mich beim Fressen in Ruhe!“ Oder darf Ihr Kind sich etwa ungefragt Ihre Brieftasche nehmen, um Süßigkeiten zu kaufen?

Konsequenz – Das A & O der Erziehung

Einem Hund ist also nicht durch laute, scharfe Töne beizubringen, welche Dinge er zu tun hat oder lieber unterlassen sollte. Hunde reagieren zwar oft auf diese Schärfe, allerdings nur aus allgemeiner Verunsicherung gegenüber dem Menschen und nicht, weil sie genau wissen, dass sie gerade etwas falsch machen. Konsequenz hat also nichts mit Härte oder Strenge zu tun, sie wird auch im Wörterbuch perfekt mit „Stringenz“, „Geradlinigkeit“ und „Entschlossenheit“ erklärt. Konsequente Erziehung bedeutet also, dem Hund vom ersten Tag an ein klares Regelpaket vorzuleben. Ist die Couch grundsätzlich verboten, muss diese Regel zu 100 % von allen Familienmitgliedern eingehalten werden. Kommt der Hund zum Frühstückstisch betteln, gilt bei allen rigorose Ignoranz. Kein Ansprechen (auch „nein, du kriegst jetzt nix“ gilt nicht), kein Anschauen (Blickkontakt ist auch schon Aufmerksamkeit), kein Angreifen. Negatives Verhalten zu ignorieren, ist in der modernen Lerntheorie die effektivste Variante, um unerwünschte Verhaltensweisen auch wirklich langfristig abzubauen. Der Hund kommt so nicht weiter zum Erfolg und wird zumindest diese Strategie künftig sein lassen. Schafft er es aber einmal doch, ein Stück vom Esstisch abzustauben oder wird seine Präsenz durch menschliche Aufmerksamkeit bestätigt, lohnt es sich für ihn dranzubleiben. Zeigt der Hund übrigens erwünschtes Verhalten oder eben gerade kein unerwünschtes, kann ihm natürlich auch ungeteilte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Zuwendung ist generell natürlich nicht verboten und auch wichtig für die Bindung. Sie sollte eben nur dann gezeigt werden, wenn der Hund es gerade nicht verlangt.

Und nun auch noch die Anleitung zum vorher beschriebenen Frühstücksbrot-Experiment: Im Optimalfall zeigen Sie schon Ihrem Welpen beim ersten frechen Versuch, Ihr Brot aus der Hand zu stehlen, ganz deutlich, dass dieses Verhalten ungefragt nicht so einfach möglich ist. Bei der Annäherung fixieren Sie ihn mit einem scharfen Blick. Lässt er dann ab, spricht dies für eine hohe Sensibilität des Hundes und möglicherweise auch eine gute Sozialisierung. Unterschreitet er weiter Ihre definierte Individualdistanz und reagiert er nicht auf Ihr Drohfixieren, schubsen Sie ihn deutlich mit der Hand weg oder fassen Sie mit Ihrer Hand kurz aber unmissverständlich über die Hundeschnauze (Sie imitieren dann den sog. Schnauzbiss, den auch die Hundemutter in der Erziehung anwendet). Im besten Fall sprechen Sie währenddessen auch ein Signal aus, z. B. „Schluss“, das auch zukünftig als Drohung angewendet werden kann, wenn der Hund Ansätze zeigt, ein Tabu zu brechen. Übrigens ist dies auch beim erwachsenen Hund noch absolut möglich, sofern man das unerwünschte Verhalten auch konsequent jedes Mal, wenn es gezeigt wird, unterbricht.

Wozu der ganze Spuk um Konsequenz?

Hunde, und das empfinde ich als Privileg, können als einzige Lebewesen den Menschen als vollwertigen Sozialpartner anerkennen. Die meisten (übrigens gut erzogenen) Hunde würden sich auch bei einem ausgelassenen Spiel mit Artgenossen immer dem Menschen anschließen, wenn dieser einfach weiterginge, und das auch ohne Keks oder Spielzeug. Einfach weil sie eine sehr enge Bindung mit dem Menschen pflegen. Das heißt auch, dass wir uns im Gegenzug ein Stück weit in ihre Welt hineinversetzen müssen, uns bestmöglich ihren sozialen Vorstellungen anpassen sollten. Und das Konzept ist gar nicht mal so kompliziert. Hunde streben nicht permanent nach einer ranghohen Position, sie wollen lediglich in ihrer jeweiligen Rolle sicher sein und das Gefühl haben, genau zu wissen, wer wofür zuständig ist. Das heißt also z. B.: Darf Ihr Hund im Garten frei herumlaufen und sich bewegen, wo und wann er möchte, ist es völlig in Ordnung und normal, wenn er Passanten verbellt oder Besucher erst einmal skeptisch beäugt. Schließlich übertragen Sie ihm aus seiner Sicht die Aufgabe der hauseigenen Security. Unfair wird es dann, wenn Sie ihn regelmäßig für das Bellen am Zaun rügen oder ihm sogar leichtfertig mit Wasser oder Rappeldosen hinterherjagen. Möchten Sie diese Wachsamkeit wirklich unterbinden, weisen Sie Ihrem Hund auch im Garten eine feste Liegestelle zu, an der er nicht alles strategisch gut beobachten kann und wie ein König über seinem Land thront. Sie werden sehen, wie schnell er von seiner Aufgabe Abstand nimmt und akzeptiert, dass Sie seine Funktion als Aufpasser übernehmen. Auch in der Signalgebung spielt Konsequenz eine wichtige Rolle. Sagen Sie Ihrem Hund „Platz!“ und achten nicht darauf, dass er so lange liegen bleibt, bis Sie die Position wieder aufheben, merkt er sofort, dass Sie in Ihrem Handeln eigentlich sehr halbherzig sind. Konsequentes Handeln und Umgehen mit Situationen vermitteln dem Hund also ein hohes Maß an Sicherheit in ihrem Mensch-Hund-Rudel. Er weiß, dass er sich an Ihnen orientieren kann und Sie immer genau wissen, was Sie wollen, ohne übertrieben hart oder streng zu sein. Ein gut erzogener Hund ist also definitiv glücklicher, als jener, der sein Leben lang Grenzen ausloten muss und nicht weiß, woran er ist. Hält Ihr Hund sich also zum größten Teil an die vereinbarten Spielregeln und Sie würden Ihre Beziehung als vertrauens- und respektvoll bezeichnen, haben Sie alles richtig gemacht. Dies dauert in der Regel übrigens bis zu zwei Jahren. Nach diesem Zeitraum ist es ohne Bedenken auch möglich, in der einen oder anderen Frage mal ein Auge zuzudrücken und gewisse Grundsätze aufzulockern. Schließlich wissen Sie und Ihr Hund ja dann, dass es Ausnahmen sind. Und die bestätigen ja bekanntlich die Regel.

 

 

 

Artikel meiner Kollegin Conny Sporrer (DOGS Hundeschule Wien) für crazy4dogs