Angeleint und trotzdem happy - von Claudia Nussbeck
Mein Hund Lenny, ein Cavalier King Charles Spaniel, liebt es, durch das Gebüsch zu stöbern, um Wildspuren zu verfolgen. Kein Wunder, denn als Stöberhund ist ihm das sozusagen in die Wiege gelegt. Doch da Lenny leider taub ist, habe ich keine Möglichkeit, ihn anzusprechen, wenn er wieder einmal im Freilauf die Welt um sich herum vergisst. Er rennt mit Freude ins nächste Dornengestrüpp, aus dem ich ihn dann mühselig wieder herausholen muss, was in der Regel mit zerkratzen Händen und Unterarmen endet. Manchmal läuft er in einem kurzen unbeobachteten Moment abseits des Weges, um eine Spur zu verfolgen. Kommt er dann wieder auf den Weg zurück und sieht mich nicht direkt, kann es passieren, dass er in die falsche Richtung rennt, und das mit hohem Tempo, da er mich ja wieder einholen will. Rufen ist dann natürlich zwecklos, hinterher rennen genauso. Daher gehe ich inzwischen gar kein Risiko mehr ein und führe ihn immer an der Schleppleine, und das wird auch sein Leben lang so bleiben. Nun denken viele Menschen direkt: „Der arme Hund!“ Doch Lenny leidet weder unter Depressionen noch Aggressionen, er führt ein ganz normales, glückliches Hundeleben.
Wann dein Hund an der Leine laufen sollte
- Wenn er nicht zuverlässig rückrufbar ist (insbesondere stark jagdlich motivierte Hunde, auch zum Schutz des Wildes)
- Wenn er taub ist und nicht mithilfe eines Vibrationshalsbandes aufmerksam auf deine Signale gemacht werden kann
- Wenn er stark sehbehindert ist – zumindest in für deinen Hund unbekanntem Umfeld
- In der Genesungsphase nach einer Erkrankung aufgrund Verordnung durch den Tierarzt bzw. die Tierärztin
- Während Läufigkeit deiner Hündin, zumindest in belebten, unübersichtlichen Gebieten
- Während der gesetzlichen Leinenpflicht in der Brut- und Setzzeit von ca. Anfang April bis Mitte Juli
- Bei Leinenpflicht innerhalb städtischer Gebiete
- Nach behördlichen Auflagen aufgrund von Rassezugehörigkeit oder eines Vorfalls mit aggressivem Verhalten deines Hundes, entweder dauerhaft oder bis zum Nachweis eines Wesenstestes
Das schlechte Image der Leine
Viele Hundehalter:innen meinen immer noch, dass Hunde nur dann ein glückliches Leben führen können, wenn sie möglichst immer frei laufen dürfen. Kommt man mit seinem angeleinten Hund einem Menschen mit frei laufendem Hund entgegen, heißt es meist schon von weitem: „Leinen Sie ihn doch ab, meiner tut nix!“ Wird der eigene Hund dann nicht abgeleint, bekommt man – wenn der andere Hundehalter bzw. die andere Hundehalterin seinen oder ihren Hund dann mühsam eingefangen und oft an der Leine zerrend sowie laut bellend vorbeiführt – nicht selten vorwurfsvolle Kommentare zu hören. „Wenn Sie den nie frei laufen lassen, wird der nie gut sozialisiert!“ oder auch „Komm weiter, Bello, der arme Hund darf nicht spielen!“
Doch was steckt eigentlich dahinter, warum hat die Leine bei den meisten Hundehalter:innen so ein schlechtes Image? Ursache ist hierfür oft einfach die Bequemlichkeit des Menschen! Zieht ein Hund heftig an der Leine, schmerzt irgendwann der Arm und der Hund kann kaum davon abgehalten werden, entgegenkommende Menschen zu belästigen. Pöbelt der Hund an der Leine auch noch andere Hunde an, kommt schnell der Gedanke auf: „Was soll der andere jetzt denken? Das sieht ja aus, als hätte ich meinen Hund nicht im Griff.“ Da ist es einfacher, wenn der Hund frei läuft, denn solange er andere Menschen oder Hunde nicht angreift, passiert ja nichts Schlimmes. Dass ein Training der Leinenführigkeit in aller Regel mit ein wenig Fleiß schnell erlernbar ist, können sich viele Menschen nicht vorstellen. Sie haben es schließlich schon oft genug versucht, entweder, indem sie dem Hund einen Keks vor die Nase gehalten oder kräftig an der Leine geruckt haben, wenn der Hund zieht. Doch nichts davon hat wirklich geholfen, scheinbar ist der eigene Hund ein hoffnungsloser Fall. Hier fehlt dann einfach das Wissen, denn wirklich jeder Hund kann unter der richtigen Anleitung lernen, an lockerer Leine zu laufen!
Das Training der Leinenführigkeit
Ursachen, aus denen ein Hund an der Leine zieht
- Territoriale Motivation: Abchecken und Markieren des Territoriums
- Sexuelle Motivation: Interesse am anderen Geschlecht sowie Übermarkieren der Markierungen von Konkurrenten
- Jagdliche Motivation: Verfolgen von Spuren oder Wild
- Soziale Motivation: Der Hund fühlt sich verantwortlich für den Menschen
- Unsicherheit/Angst: Kein ausreichender Individualabstand möglich durch die Leine
- Unbewusstes Verstärken durch den Menschen / noch nicht erlernt
Bei vielen Kunden und Kundinnen, die mit Problemen bzgl. der Leinenführigkeit zu mir in die Hundeschule kommen, wird schnell klar, dass der Hund einfach noch nicht verstanden, also noch nicht wirklich gelernt hat, dass er nicht an der Leine ziehen soll. Oft wurde das Ziehen vom Menschen sogar noch unbewusst verstärkt. Trifft man auf dem Spaziergang den Nachbarn mit Hundekumpel Benny, wird dem Ziehen des eigenen Hundes nachgegeben, denn schließlich muss Hasso seinen Hundefreund doch auch begrüßen. Und schon hat Hasso gelernt, dass Ziehen erfolgreich ist! Auch ein Hund, der an der Flexileine (Rollleine) geführt wird, hat gelernt, dass er ziehen muss, um an sein Ziel zukommen. Der Mensch entriegelt den Knopf und los geht’s. Doch der Hund muss dabei ständig ziehen, um die Leine gegen den Widerstand der Rollautomatik herauszuziehen. Das führt dann dazu, dass sich das Ziehen an der Leine für den Hund lohnt.
Darf der Hund dann doch einmal nicht zum anderen Hund hin, wird schnell ein Keks herausgeholt, um den Hund abzulenken. Doch das klappt oft genug nur sehr begrenzt, denn ein Training funktioniert eben nicht über Bestechung. Bestechen lässt sich ein Hund immer nur so lange, wie das Leckerli spannender für ihn ist als das ursprüngliche Interesse. Aus lauter Verzweiflung wird dann an der Leine geruckt und laut „Fuß“ gesagt, doch auch das bringt in aller Regel keinen Erfolg. Doch woran liegt das? Der Hund hat noch nicht wirklich gelernt, was das Signal „Fuß“ bedeutet. Und ihn zu bestrafen, wenn er nicht das gewünschte Verhalten zeigt, bringt nichts, wenn er gar nicht weiß, was der Mensch eigentlich von ihm erwartet. Man muss das lockere Laufen an der Leine daher in kleinen Schritten aufbauen und belohnen, damit der Hund es später auch in schwierigen Situationen umsetzen kann.
Damit dein Hund zwischen langer Leine und der Position neben dir unterscheiden kann, ist es sinnvoll die Leine vom Brustgeschirr auf das Halsband umzuhängen, wenn dein Hund neben dir gehen soll. So wird das Führen am Halsband zum Sichtzeichen bzw. taktilen Zeichen für das Signal „Fuß“. Natürlich kannst du auch ein Hörzeichen aufbauen, indem du dieses immer dann sagst, wenn dein Hund an der lockeren Leine läuft, sodass er das Verhalten mit dem Signal verknüpfen kann. Dazu muss dein Hund nun aber erst einmal lernen, was du eigentlich von ihm erwartest.
Du bringst deinem Hund im ersten Schritt bei, wo sein Platz an deiner Seite ist. Ob dein Hund auf deiner linken oder rechten Seite laufen soll, spielt dabei keine Rolle. Er kann auch das Laufen auf beiden Seiten lernen, zu Beginn solltest du dich jedoch erst einmal für eine Seite entscheiden. Führe deinen Hund nun mit Hilfe eines Futterstücks an deine gewünschte Seite und belohne ihn. Als Belohnung eignen sich weiche, kleine Futterstücke, die dein Hund schnell herunterschlucken kann. Passe die tägliche Futtermenge entsprechend an, denn zu Beginn musst du noch häufig belohnen.
Nach vielen Wiederholungen folgt nun der erste Schritt. Ja genau, wirklich nur ein Schritt, denn dieser ist die Grundlage für alle weiteren Schritte! Befindet sich dein Hund an deiner Seite, mach ihn auf dich aufmerksam. Dazu kannst du auch ein Aufmerksamkeitssignal wie z. B. „Schau“ oder „Look“ nutzen, dass du vorab aufgebaut hast. Bewege dich mit dem Fuß, der sich an der Seite deines Hundes befindet nach vorn und belohne deinen Hund sofort, wenn er dir folgt.
Bleibt die Leine locker, kannst du zwei und dann drei, vier oder fünf Schritte machen. Wechsle dabei immer einmal die Anzahl der Schritte, damit dein Hund nie weiß, wann die Übung beendet ist und es eine Belohnung gibt. Kommt die Leine auf Spannung, musst du wieder einen Schritt im Training zurückgehen.
Um das Training abwechslungsreich zu gestalten, übst du nun Richtungswechsel. Starte dabei mit dem Richtungswechsel von deinem Hund weg, da dieser immer einfacher für den Hund ist. Laufe erst einmal zwei bis drei Schritte geradeaus, bevor du dann mit dem Bein, das sich neben deinem Hund befindet, in die neue Richtung abbiegst. Durch die Bewegung deines Beines merkt dein Hund den Richtungswechsel sofort. Du kannst vor jedem Richtungswechsel auch dein Aufmerksamkeitssignal nutzen, sodass dein Hund vom Wechsel nicht überrascht wird. Beende den Wechsel mit zwei bis drei Schritten geradeaus und belohne deinen Hund. Den Richtungswechsel auf deinen Hund zu startest du mit dem Bein, das sich nicht direkt neben deinem Hund befindet. Würdest du mit dem anderen Bein in Richtung deines Hundes abbiegen, besteht die Gefahr, dass du in ihn hineinläufst und ihn anrempelst. Keine angenehme Erfahrung für deinen Hund an der Leine! Starte beide Richtungswechsel zunächst mit 90-Grad-Winkeln, bevor du 180-Grad-Wendungen übst.
Jetzt kannst du die Strecke immer weiter verlängern. Aber Achtung, es darf nicht langweilig für deinen Hund werden. Füge immer wieder Winkel und Wendungen ein, laufe unterschiedlich lange Strecken geradeaus und wechsle das Tempo von ganz langsam bis zum Laufschritt. Du wirst schnell merken, so macht nicht nur dir, sondern auch deinem Hund das Laufen an der Leine Spaß!
Spaß beim Leinenführigkeitstraining
Der Spaß darf beim Hundetraining nie zu kurz kommen. Es lernt sich so viel leichter, wenn man Freude bei einer Aufgabe hat. Betrachte daher das Leinenführigkeitstraining nicht als „notwendiges Übel“. Wenn dein Hund die Grundlagen erlernt hat, kannst du das Training unendlich spannend gestalten. Sei kreativ und denke dir immer wieder neue Varianten aus!
Varianten beim Leinenführigkeitstraining
- Um Bäume herumlaufen, Wechsel zwischen Innen- und Außenkreis für den Hund
- Andere Menschen / Mensch-Hund-Teams umrunden
- An Ablenkungen vorbeilaufen (Futter, Spielzeug etc.)
- Kleinere Hindernisse überqueren (Äste, Baumstämme)
- Hindernisparcours (Am Boden liegende Autoreifen umrunden / durchqueren)
Dass ein Hund in bestimmten Situationen an der kurzen Leine geführt werden muss, ist für viele Menschen noch nachvollziehbar. Aber beim Spaziergang, da braucht er doch einfach seine Freiheit. Ihn jetzt wieder durch die Schleppleine einzuschränken, kann ja nicht im Sinne des Hundes sein, oder? Und ja, es stimmt, angeleint kann der Hund nicht frei entscheiden, wohin er läuft, wo er schnüffelt, welches Tempo er läuft. Selbst mit Schleppleine, die ja zumindest einen eingeschränkten Freiraum bietet, ist dieser eben doch begrenzt. Hinzukommt, dass die Kommunikation mit anderen Hunden nicht bzw. nur sehr begrenzt möglich ist. An der kurzen Leine kann der Hund nicht ausweichen, wenn ihm ein anderer Hund zu nahe kommt und an der Schleppleine ist ein Spiel nicht nur begrenzt, sondern auch gefährlich, da die Hunde in der am Boden liegenden Leine hängen bleiben könnten. Aber Sozialkontakt ist doch wichtig für Hunde und gehört zu einer artgerechten Haltung dazu. Wie kann es da artgerecht sein, wenn ein Hund nie frei laufen darf?
Ja, es stimmt, Hunde brauchen Sozialkontakt, sie brauchen die Möglichkeit, mit Artgenossen zu kommunizieren. Da können wir Menschen uns noch so anstrengen, die Hundesprache zu erlernen, wir werden einfach immer nur ein „schlechter Ersatz“ bleiben. Dennoch braucht dein Hund eben nicht Kontakt zu JEDEM Artgenossen, den du auf dem Spaziergang triffst. Das gilt übrigens genauso für Hunde, die frei laufen gelassen werden können! Viel sinnvoller ist der Kontakt zu zwei oder drei Hunden, mit denen sich dein Hund gut versteht. Damit dein Hund seinen Sozialkontakt ausleben kann, kannst du dich einfach regelmäßig mit den Haltern und Halterinnen dieser Hunde verabreden. Für den Freilauf der Hunde könnt ihr dann entweder den eigenen, umzäunten Garten oder aber z. B. eine umzäunte Freilauffläche nutzen!
Doch braucht ein Hund wirklich so viel „Freiheit“ auf dem Spaziergang, dass er sich nur ohne Leine wohl fühlt? Ganz eindeutig: „Nein!“ Denn das, was die Menschen als „Freiheit“ betrachten, ist für den Hund oftmals nur langweiliger Alltag. Jeden Tag die gleiche Strecke, jeden Tag die gleichen Gerüche, es findet nichts Spannendes statt. So mancher Hund würde sich über Aufmerksamkeit und Spaß mit seinem Menschen freuen, anstatt einfach nur gelangweilt durch die Gegend zu laufen. Denn genau das führt dann oft auch dazu, dass der Hund sich selbst seine spannenden Beschäftigungen sucht, Spuren verfolgt, Jagen geht, und letztlich dann gar nicht mehr in Gedanken bei seinem Menschen ist. Ein abwechslungsreicher Spaziergang ist nicht nur für angeleinte Hunde wichtig, sondern für alle Hunde. Er stärkt die Bindung zwischen Hund und Halter:in, und führt dazu, dass sich der Hund von sich aus am Menschen orientiert.
Spiele auf dem Spaziergang – auch an der Schleppleine
Wenn ich mit meinen Hunden unterwegs bin, habe ich fast immer kleingeschnittenen Käse, ein paar kleine Leckerlis und etwas zum Apportieren mit dabei. Wer mit offenen Augen durch Feld und Wald geht, findet hier unendlich viel Potential für die Beschäftigung seines Hundes.
Futtersuche
Verstecke kleine Futterstücke in unterschiedlicher Höhe in der borkigen Rinde eines Baumes, die dein Hund dann suchen darf. Lass deinen Hund, während du die Leckerlis versteckst, etwas entfernt im „Bleib warten. Alternativ kannst du ihn auch an einem anderen Baum anleinen. Du kannst das Futter auch unter etwas Laub oder sogar unter der Erde verstecken, sodass dein Hund es ausbuddeln muss. Ringförmige Futterstücke kannst du auf die Äste eines Strauches stecken.
Spuren verfolgen
Für viele Hunde stellt das Absuchen einer Spur ein besonderes Highlight dar. Dieses Training wird in aller Regel immer mit Leine ausgeführt und ist daher ideal geeignet für Hunde, die nicht frei laufen dürfen. Für die Spur kannst du einen gut riechenden Gegenstand, wie z. B. ein Felldummy, hinter dir herziehen. Alternativ kannst du auch eine Spur mit Futter legen oder Leberwurstwasser ausspritzen. Professionellen Spurensuchern reicht auch einfach die Spur des Menschen.
Die Jagd nach Futterstücken
Mein Cavalier King Charles Spaniel Lenny liebt es, Futterstücken hinterher zu hetzen. Bei diesem Spiel kannst du deinem Hund Futterstücke in unterschiedliche Richtungen werfen, sodass er immer genau aufpassen muss, wohin das Leckerli fliegt.
Apportierspiele
Hat dein Hund gelernt, einen Gegenstand zu dir zurückzubringen, kannst du diesen auswerfen, verstecken oder auch unbemerkt fallen lassen. Bei diesem „Verlorenspiel“ lässt du den Gegenstand unbemerkt von deinem Hund auf dem Weg fallen und gehst einfach weiter. Irgendwann schickst du deinen Hund dann zurück, um den Gegenstand zu suchen.
Zu meiner Person: Seit November 2021 bietet Claudia Nussbeck in ihrer Martin Rütter Hundeschule in Langenthal / Solothurn in der Schweiz neben dem Training der Leinenführigkeit auch viele unterschiedliche Beschäftigungsformen an. Hunde auf dem Spaziergang auszulasten, ist ihr wichtig. Ihr Motto lautet daher auch: Beschäftige deinen Hund, sonst beschäftigt er dich!