Liebe allein macht Hunde nicht glücklich Teil 2
Im Expertenbeitrag vom Januar letzten Jahres haben wir uns in Teil 1 dieser Serie mit Regeln, Strukturen und Grenzen in der Hundeerziehung auseinandergesetzt. In diesem Artikel geht es um einige weitere wichtige Grundsätze für eine harmonische Mensch-Hund-Beziehung. Welche Bedürfnisse Hunde wirklich haben und wo wir uns noch ein Scheibchen von ihnen abschneiden können, lesen sie hier.
6. Verständnis
Der Kollege Normen Mrozinski hat kürzlich in einem äußerst gelungenen Artikel geschrieben: „Wir wollen den besten Freund des Menschen? Dann sollten wir uns aber auch wie ein Freund benehmen.“ Freunde verstehen einander oft blind. Sie sind so aufeinander eingespielt, dass es meist keiner Worte bedarf. Mit Sicherheit kennen unsere Hunde uns auch in- und auswendig, schließlich haben sie den ganzen Tag kaum etwas anderes zu tun, als uns zu beobachten. Aber verstehen wir Menschen unsere Vierbeiner wirklich? Haben wir uns mit der Sprache der Hunde wirklich auseinandergesetzt und verstehen ihre Körpersprache und Kommunikation, ohne vermenschlichende Schlüsse zu ziehen? Mein Berufsalltag zeigt mir häufig, dass Hunde denken müssen, sie leben mit Aliens zusammen. Da häufen sich Fehlinterpretationen und Kommunikationsmissverständnisse in so hohem Maße an, dass sie zu echtem Problemverhalten führen können. Dabei sind wir es doch, die die Hunde bei sich aufnehmen und ihnen ein nettes Leben bieten wollen. Kein Hund stand jemals freiwillig mit gepacktem Koffer vor unserer Tür und bat um Asyl. In aller Regel sind wir es, die sie aussuchen und bei uns leben lassen wollen. Also sind wir ihnen auch schuldig, ihre Sprache zu lernen und sie richtig zu verstehen.
7. Typgerechte Beschäftigung
Die meisten unserer Hunde sind jahrhundertelang zu spezialisierten Arbeitern gezüchtet worden. Sie sollten Schweine vom Hof auf den Markt treiben, dort auf die Kassa aufpassen, den Steuereintreiber begleiten und beschützen, Vieh vor die Flinte jagen oder die Herde vor Räubern beschützen. Von ihnen übrig geblieben ist heute ein Haufen Arbeitsloser, die mit etwas Glück einmal am Tag eine längere Spazierrunde durch den Park ziehen dürfen. Echte Aufgaben haben sie dabei nicht zu erfüllen. Und so suchen sie sich dann aus Langeweile gerne einmal selbst eine heiße Fährte, pöbeln Artgenossen an oder hetzen aus Spaß dem Jogger hinterher. Hunde müssen aber auch nicht drei Mal pro Woche zum Agility, Dogdance und Trickdogging gehen, um glücklich zu werden. Im Gegenteil, zu viel Beschäftigung kann gerade bei sehr aktiven Hunden kontraproduktiv sein, und sie lernen dadurch nicht, auch zur Ruhe zu kommen. Sie aber im Alltag immer wieder in Aufgaben einzubinden, sie zwischendurch bei Fuß gehen zu lassen, an der Ampel abzuwarten oder ihnen ab und zu Futter oder Beute für ein bisschen Nasenarbeit anzubieten, sollte zu unserem täglichen Beschäftigungsprogramm gehören. Frei nach Martin Rütter: „Geben Sie Ihrem Hund eine Aufgabe, sonst wird er eine!“
8. Ruhe und Auszeiten
Apropos Beschäftigung: Wie schon erwähnt, streben Hunde in aller Regel nicht nach permanenter Action, es sei denn, man gewöhnt sie daran, ständig bespaßt werden zu müssen. Aber versprochen, auch für den fleißigsten Border Collie kommt einmal der Winter, in dem die Schafe im Stall stehen. Unsere Hunde brauchen um die 18 Stunden Schlaf pro Tag, dabei sind Dösen und Ausruhen natürlich einberechnet. Der Anspruch, sie permanent beschäftigt wissen zu wollen, ist also falsch, vielmehr sollten kleinere Einheiten zwischendurch Abwechslung in ihren Alltag bringen. Ich plädiere aber auch immer dafür, dass Hunde lernen sollten, dass an manchen Tagen gar nichts passiert. Wenn der Halter etwa krank ist, soll der Hund nicht am Rad drehen, weil mal 2, 3 Tage weniger passiert.
Das Verlangen mancher Hunde, ständig etwas zu tun und nicht gut abwarten zu können, beruht sehr häufig auf dem Erziehungsfehler, mit Hunden nur aktive Dinge zu trainieren. Dass es aber bereits ab dem Welpenalter schon dazugehört, Hunden beizubringen, z. B. andere Hunde zu sehen, ohne direkt Kontakt zu haben, oder Besucher hereinkommen zu lassen, ohne dass der Hund an vorderster Front begrüßt wird, nervt die Halter dann spätestens im Junghundealter. Da wird dann vor Frust gebellt, was das Zeug hält, oder gar erste Frustrationsaggression gezeigt, weil es ja vorher immer selbstverständlich war, sein Verlangen einfach durchzusetzen.
9. Sinnvoller Sozialkontakt
Wobei wir auch schon bei der generellen Frage nach Sozialkontakt mit Artgenossen wären. Auf jeden Fall gilt: Der Mensch ist der wichtigste Sozialpartner des Hundes. Kein anderes Lebewesen kann einen Artfremden als zumindest gleichwertigen Sozialpartner akzeptieren. Wenn andere Hunde für Hunde wichtiger wären, würden sie am Ende des Tages nicht mit uns von der Hundewiese nach Hause gehen, denn auch ein vierbeiniger Freund wäre ein absolut würdiger Ersatz, um nicht allein zu sein. Faktisch sehnen sich Hunde aber, sofern die Beziehung stimmt, immer in erster Linie nach dem Menschen, der ihnen Sicherheit und Führung im Alltag gibt.
Das soll nicht bedeuten, dass Hunde keine anderen Hunde brauchen würden. Vor allem im Sozialisierungsprozess ist es sogar wichtig für Hunde, mit vielen anderen Hunden kontrolliert in Kontakt zu kommen, um das eigene Sozialverhalten richtig entwickeln zu können. Später jedoch, wenn die Hunde mit 2 bis 3 Jahren wirklich erwachsen sind, müssen sie nicht täglich mit anderen Hunden konfrontiert werden. Im Grunde reichen da ein paar nette Kumpels, mit denen sie auch vertraut spielen können. Von erwachsenen Hunden aber täglich zu erwarten, auf die Hundewiese zu gehen und dort mit anderen, fremden Erwachsenen zu spielen, ist wieder ein Fall von Vermenschlichung, weil wir das von unseren Kindern auf dem Spielplatz ja auch so erwarten. Wir selbst gehen als Erwachsene aber kaum mit Spielkarten in den Park, um Fremde zu einer Partie Poker einzuladen, oder?
10. Respekt und Toleranz
Natürlich haben sich Hunde seit der Domestikation vor rund 14.000 Jahren immer weiterentwickelt und sind immer engere Partner des Menschen geworden. Spätestens wenn es aber um Urantriebe wie Jagen, sich in stinkendem Zeug wälzen oder Markierverhalten geht, wissen wir, dass der Urvater Wolf immer noch der nächste Verwandte unserer treuen Gefährten ist. Selbst wenn viele dieser rudimentären Verhaltensweisen heutzutage keine biologische Funktion mehr erfüllen, sind sie dennoch da. Kein Hund der Welt wälzt sich dem Menschen zu Fleiß in Kot oder geht jagen, weil er Frauchen und Herrchen satthat. Es handelt sich schlicht um natürliche – wenn auch oft beim Menschen unerwünschte – Handlungen, die Hunde in ihrem Repertoire mitbringen. Die ein oder andere Sache kann man ihnen natürlich über Alternativverhalten oder Training abgewöhnen, aber im Grunde sind sie am Ende des Tages Tiere, die sich alles in allem ohnehin schon optimal an den Menschen angepasst haben. Wir können mit Hunden auf engem Raum in der Stadt leben, sie tolerieren täglich rudelfremde Artgenossen in ihren Wohngebieten, wir dürfen sie an einer begrenzenden Leine führen und sie sogar allein lassen. Soviel Anpassungsbereitschaft und Toleranz angesichts der vielen Fehler, die wir tagtäglich mit ihnen begehen, sollten wir ihnen umgekehrt auch entgegenbringen.