Welpentraining - ein Beitrag von Andrea Buisman

Andrea Buisman ist seit 2003 im Team von Martin Rütter. Sie bildet angehende Martin Rütter Hundetrainer:innen aus und ist für die fachliche Betreuung des Netzwerks der Martin Rütter Hundeschulen zuständig. Als Autorin hat sie gemeinsam mit Martin Rütter viele Fachbücher verfasst. Sie lebt in Zülpich bei Köln mit ihren Labrador Retrievern, mit denen sie aktiv die verschiedensten Beschäftigungsformen für Mensch und Hund ausführt.
- Ausbildungsleiterin Andrea Buisman
Wochenlang hat Sybille daraufhin gefiebert, und nun ist er endlich da, der Tag, an dem ihr kleiner Welpe einzieht. Aufgeregt nimmt sie Fredo, so wird der Labrador Retriever zukünftig heißen, auf den Arm. Sybille traut sich zunächst gar nicht, ihn richtig festzuhalten, dieses kleine Wesen scheint noch so zerbrechlich zu sein. Doch Fredo ist ein aktiver, quirliger Welpe, der direkt versucht, sich aus Sybilles Armen zu winden. „Halte ihn ruhig richtig fest, du tust ihm schon nicht weh. Nur so kannst du vermeiden, dass er herunterfällt und sich schwer verletzt!“ rät ihr die Züchterin, als sich Sybille mit ihm auf den Weg nach Hause macht.
Fredo war auf der zweistündigen Fahrt ganz brav und soll sich nun erst einmal lösen. Sybille hält am Wald in der Nähe ihrer Wohnung. Wie war das noch? Die Züchterin hat Sybille eine Infomappe mit vielen Tipps für den Alltag mitgegeben und so schaut sie sicherheitshalber noch einmal nach. „Bewegung: Achte darauf, dass sich dein Welpe maximal fünf Minuten pro Lebensmonat intensiv – durch einen äußeren Antrieb motiviert - bewegt bzw. du maximal diesen Zeitraum mit ihm konzentriert trainierst, danach solltest du eine kürzere bzw. beim zweiten Mal eine längere Pause machen.“ Sybille läuft mit Fredo los, doch dieser findet alles spannend. Er schnuppert am Gras, schaut interessiert einem wegfliegenden Vogel hinterher und so sind die beiden keine 100 m weit gekommen, als nach fünf Minuten der Timer ihres Handys klingelt, den Sybille sich gestellt hat. Denn Fredo ist knapp zwei Monate alt und soll laut Plan maximal 10 Minuten laufen. Daher macht sich Sybille auf den Rückweg, auch wenn Fredo sich bisher noch nicht einmal gelöst hat. Angekommen in der Wohnung, pinkelt er erst einmal mitten auf den Wohnzimmerteppich. Auch in den nächsten Tagen geht Sybille maximal 10 Minuten mit Fredo spazieren. Da er immer wieder in die Wohnung macht, sucht sie verzweifelt ihren Tierarzt auf. Vielleicht hat er ja eine Blasenentzündung? Doch Fredo ist kerngesund. Als sie dem Tierarzt von ihrem Alltag mit Fredo berichtet, gibt er ihr den Ratschlag, länger mit ihm spazieren zu gehen. „Fredo braucht ausreichend Bewegung, um sich gut entwickeln zu können. Er soll sich viel bewegen und rennen, denn nur so kann er Muskeln aufbauen und gesund wachsen. Daher soll Fredo auch immer wieder einmal mit anderen Welpen spielen, da er nur so lernen kann, mit anderen Hunden zu kommunizieren.“

Zugegeben, dass Menschen sich die Uhr stellen, damit sie keinesfalls eine Minute länger „als erlaubt“ mit ihrem Welpen spazieren gehen, ist sicherlich ein wenig übertrieben. Doch viele Welpenfamilien sind verunsichert, wie lange sie mit dem Kleinen unterwegs sein dürfen, denn nicht selten bekommen sie den Ratschlag, dass zu viel Bewegung zur Entstehung von Gelenkkrankheiten beim Welpen führe. Ein schweres Trauma, z. B. durch einen Unfall, kann tatsächlich nicht nur Knochenbrüche, sondern auch Schäden an den Gelenken verursachen. Normale, alltägliche Bewegung fördert dagegen das gesunde Wachstum des Welpen, wie auch in Studien zu diesem Thema nachgewiesen werden konnte. Tiermediziner:innen weisen immer wieder darauf hin, dass Krankheiten wie Hüft- oder Ellenbogengelenkdysplasie vorwiegend genetisch bedingt sind. Nicht umsonst recherchieren seriöse Züchter:innen vor dem Wurf wochenlang Ahnentafeln und überprüfen Zuchtlinien sowie deren Gesundheitsergebnisse, um so den am besten passenden Partner für ihre Hündin zu finden.
Ist die Fünf-Minuten-Regel in Bezug auf die Bewegung von Welpen und Junghunden daher unsinnig oder eignet sie sich doch als Richtlinie in Bezug auf das Bewegungsmaß?
Gerade für Ersthundehalter:innen ist alles neu. Nicht nur das Zusammenleben mit diesem Lebewesen einer vollkommen anderen Art und dessen Bedürfnisse, auch die Körpersprache und Kommunikation des Welpen muss erst erlernt werden. Doch wie erkennt man, wann ein Welpe überfordert, wann es ihm zu viel ist, wann er müde wird? Leicht erkennbar ist das, wenn der Welpe zurückbleibt oder sich hinsetzt und einfach nicht weiterläuft, allerdings ist es dann eigentlich bereits zu spät. Schwieriger wird es schon, Stress-Signale wie Hecheln, Sich kratzen oder Gähnen richtig zu deuten sowie die Mimik durch angelegte Ohren oder eine Stressfalte um den Maulwinkel herum zu erkennen. Bis man eine Fremdsprache erlernt hat, vergeht nun einmal eine ganze Zeit … Warum also dem Menschen nicht eine Regel an die Hand geben, die ihm hilft, diese Zeit zu überbrücken?
Doch was bedeutet diese Regel nun eigentlich? „Dass ein Welpe / Junghund sich maximal fünf Minuten pro Lebensmonat am Tag, oder alternativ pro Spaziergang, also drei- bis viermal am Tag, bewegen darf?“ Beides stimmt natürlich nicht! Schauen wir uns noch einmal den Ratschlag von Sybilles Züchterin an: Dieser bezog sich auf intensive – durch einen äußeren Antrieb motivierte – Bewegung. Aber was zählt zu intensiver Bewegung? Wenn dein Welpe mit dir zusammen im Garten ist und eine Stunde lang durch diesen schlendert, mal hier schnüffelt, mal dort buddelt, mal da ein Stück Gras herausreißt und mit diesem dann wild hin und her schleudernd durch den Garten rennt, sich im Gras wälzt und wieder schnüffelnd eine Spur verfolgt? Ganz klar: „Nein!“ Denn auch wenn er eine Stunde lang unterwegs ist, wechselt er immer wieder das Tempo, bleibt zwischendurch stehen, und vor allem: Er entscheidet selbst und ohne äußeren Antrieb über seine Bewegung.
Wenn du nun aber mit deinem Welpen spazieren gehst, ist es mit dessen eigener Entscheidung schnell vorbei. Denn was soll er tun, wenn er nach 15 bis 20 Minuten eigentlich müde und erschöpft ist, und du, der ihn in diese unbekannte Gegend gebracht hat und von dem er vollkommen abhängig ist, aber einfach weiter gehst? Er folgt dir weiter – und weiter – und weiter. Im schlimmsten Fall überfordert er sich nicht nur körperlich, sondern verliert auch das Vertrauen in dich, denn du scheinst auf seine Bedürfnisse keine Rücksicht zu nehmen.

Wenn du nun aber mit deinem Welpen spazieren gehst, ist es mit dessen eigener Entscheidung schnell vorbei. Denn was soll er tun, wenn er nach 15 bis 20 Minuten eigentlich müde und erschöpft ist, und du, der ihn in diese unbekannte Gegend gebracht hat und von dem er vollkommen abhängig ist, aber einfach weiter gehst? Er folgt dir weiter – und weiter – und weiter. Im schlimmsten Fall überfordert er sich nicht nur körperlich, sondern verliert auch das Vertrauen in dich, denn du scheinst auf seine Bedürfnisse keine Rücksicht zu nehmen.
Gern wird an dieser Stelle die Aufzucht von Hunden mit Wolfswelpen oder dem menschlichen Nachwuchs verglichen. Wolfswelpen werden allerdings nicht von ihren Eltern in ein Auto verfrachtet und in eine völlig fremde Umgebung gebracht. Vielmehr starten die Ausflüge immer von der Höhle aus, sodass der Wolfswelpe lernt, sich in kleinen Schritten erst in seiner näheren, dann in seiner weiteren Umgebung zurechtzufinden. Die jungen Wölfe begleiten frühestens mit etwa sechs Monaten die erwachsenen Wölfe auf den Wanderungen und Jagdausflügen, bis dahin bleiben sie zumeist in der sicheren Umgebung des Lagers. Das erklärt im Übrigen auch das Unbehagen vieler Hundewelpen, das Haus zu verlassen. Und wie sieht es mit dem menschlichen Nachwuchs aus? Wenn sich Familien mit Kleinkindern auf eine Wandertour begeben, wird sowohl das Tempo als auch die Strecke auf das Kind abgestimmt. Denn welche Familie wird mit einem drei- bis vierjährigen Kleinkind (was in etwa dem acht bis 12 Wochen alten Welpen entspricht) auf eine 30 Kilometer lange Wanderung aufbrechen? Wenn, dann sicher nur mit Kinderwagen oder Tragetuch, sodass der Nachwuchs, sobald er anfängt zu jammern, sich ausruhen und von Mama oder Papa transportiert werden kann. Und dass der Zwerg nicht mehr kann, merken diese sehr schnell, denn alle drei sprechen die gleiche Sprache. Ohne Kinderwagen werden dagegen nur kurze Strecken ausgewählt bzw. zwischendurch Pausenzeiten eingeplant.
Genauso solltest du auch die Spaziergänge mit deinem Welpen gestalten. Bei längeren Strecken baust du Pausen ein, in denen er sich selbstbestimmt bewegen kann. Nach einer längeren Strecke sollte es dann auch eine längere Pause geben. Selbstbestimmte Bewegung heißt dabei übrigens weder, dass du mit deinem Welpen trainierst, noch dass andere Menschen oder Hunde ihn zum Herumrennen motivieren oder zum Spielen auffordern.
Doch natürlich dürfen Hunde auch miteinander spielen. Welpen, brauchen den Kontakt zu Artgenossen, um zu gut sozialisierten Hunden heranzuwachsen. Wie sieht es hierbei mit der Fünf-Minuten-Regel aus? Schauen wir uns dazu zunächst wieder einmal an, wie es beim Wolfsrudel und dem menschlichen Nachwuchs läuft. Tatsächlich ist es ja nun wirklich nicht so, dass Mama nach 30 Minuten ruft: „Kevin! Chantal! Eure 30 Minuten Bewegungszeit sind um, bitte macht eine Pause!“ Und auch Wolfswelpen werden wohl kaum durch die Elterntiere reguliert, was das Spiel untereinander angeht. Also, Feuer frei für das Spiel der Welpen in der Welpengruppe und auf der Hundewiese?

Wie sieht denn eigentlich das Spiel der Welpen in den ersten Wochen der Aufzucht aus? Alle Welpen werden in etwa gleichzeitig wach und das muntere Spiel beginnt. Da wird getobt, gekämpft, gerannt, ohne Pause und ohne Rücksicht auf irgendwelche Gelenke. Nach ca. 10 – 15 Minuten werden die ersten Welpen ruhiger, ziehen sich zurück. Das Spiel wird langsamer, weniger dynamisch, die ersten legen sich hin und nach spätestens einer halben Stunde schlafen alle für mindestens zwei bis drei Stunden, bevor es dann wieder losgeht mit der Aktivität. Auch bei den Wolfswelpen läuft es ähnlich ab. Zudem verbringen sie, bis sie erwachsen werden, den ganzen Tag mit ihren Geschwistern zusammen und können mit ihnen kommunizieren, spielen und sich bewegen.
Kommt der Welpe in seine neue Familie, fehlen ihm seine Geschwister, mit denen er toben kann. Doch Welpen brauchen Sozialkontakt, also geht es ab in die Welpengruppe. Eine Stunde pro Woche trifft der kleine Welpe nun seine Artgenossen. Da ist es nicht ungewöhnlich, dass er „berauscht“ vor lauter Freude kein Ende im Spiel findet. In einer guten Hundeschule achten Trainer:innen daher darauf, dass es nach ca. 10 - 15 Minuten Spiel eine Pause gibt, in welcher z. B. die Fragen der Halter:innen beantwortet werden. Gäbe es keine Pause, würden einige Welpen mit Sicherheit toben, bis sie umfallen. Aber wie ist das mit Chantal und Kevin, wenn diese in den Kindergarten gehen? Hier wird ja auch nicht eingegriffen und den Kindern das gemeinsame Spiel untersagt. Doch wenn die beiden, kaum im Kindergarten angekommen, herumrennen, sich balgen, toben und das ohne Pause, bis sie wieder abgeholt werden, würde sich mit Sicherheit der ein oder andere Erziehende Gedanken machen und das Gespräch mit den Eltern suchen. Und letztlich ist das Zusammentreffen der Kinder im Kindergarten, tagtäglich über mehrere Stunden im Zeitraum von gut zwei bis drei Jahren kaum zu vergleichen mit dem einmal in der Woche stattfindenden einstündigen Besuch des Welpen in der Welpengruppe. Doch es gibt noch einen weiteren Unterschied: Kevin und Chantal werden in etwa im gleichen Alter sein: vier bis fünf Jahre. In der Welpengruppe tummeln sich Welpen im Alter von acht bis ca. 16 Wochen. Die Entwicklung des Welpen schreitet jedoch viel schneller voran als beim Menschen, sodass sich ein acht und ein 16 Wochen alter Welpe in vollkommen unterschiedlichen Entwicklungsphasen befinden. Zudem unterscheiden sich die Gewichte der Welpen enorm, von wenigen 100 Gramm bis guten 10 kg ist alles dabei. Selbstverständlich muss eine gute Hundeschule darauf achten, dass die Welpen in einer Welpengruppe zueinander passen. Bei der großen Diversität unserer Rassen sind ungefähr gleiche Gewichte jedoch fast unmöglich.

Behalte daher die sozialen Kontakte deines Welpen im Blick, und schreite ein, wenn die körperlichen und entwicklungsbezogenen Unterschiede zu groß sind oder aber die Welpen vor lauter Begeisterung kein Ende finden. Du solltest das Spiel deines Welpen lenken und leiten. Nicht aufgrund möglicher Fehlentwicklungen von Gelenken, sondern um schwerwiegende Verletzungen zu vermeiden und deinen Welpen mental nicht zu überfordern. Das gilt auch für euer Training. Willst du mit ihm Sitz, Down oder die Leinenführigkeit üben, wirst du schnell feststellen, dass ein längeres Training keinen Sinn macht, da dein Welpe nicht mehr mitmacht. Doch Training bezieht sich beim Welpen auch auf das Erlernen von Umweltreizen. Und hier gilt es wieder, ein Auge auf die Zeitspanne zu haben. Ein Welpe, der nach dem Besuch des Bahnhofs, um sich an Züge zu gewöhnen, auf dem Rückweg gleich noch den Stadtbummel mit anschließendem Cafébesuch verarbeiten soll, ist von dem Zuviel an Reizen schnell überfordert.
Dürfen Welpen Treppen laufen?
Auch bei der Beantwortung dieser Frage wird gern der Vergleich zum menschlichen Nachwuchs gezogen, den man ja wohl kaum beim Treppenlaufen einschränkt. Wirklich nicht? Ein Hilfsmittel bei der Haltung von Welpen in einem Haus mit Treppen ist das „Kinder“-Gitter. Dieses ist unter anderem dafür gedacht, Kleinkinder davor zu bewahren, sich beim eigenständigen Hinauf- bzw. Herunterlaufen einer Treppe zu verletzen! Und genau dafür wird es auch beim Welpen eingesetzt. Selbstverständlich müssen Welpen, sobald sie groß genug sind, die Treppenstufen zu bewältigen, lernen, eine Treppe herauf- bzw. herunterzulaufen, denn Treppen gehören zu unserem Alltag dazu. Damit dein Welpe nicht wegrutscht, läufst du am besten hinter ihm die Treppe herauf, so kannst du ihn notfalls auffangen. Herunter ist das Risiko noch größer, denn wenn dein Welpe nun wegrutscht oder eine Stufe verfehlt, purzelt er kopfüber die gesamte Treppe herunter. Ausgeschlagene Zähne sind dann noch die harmlose Folge eines solchen Absturzes. Schwere Verletzungen bedeuten nicht nur hohe Kosten für die Familie, der Welpe muss nun auch über einen längeren Zeitraum geschont werden, die weitere Sozialisierung ist gegebenenfalls für mehrere Wochen nur sehr eingeschränkt möglich. Daher sollten Welpen bzw. Junghunde Treppen mindestens bis etwa zur Pubertät, also bis sie je nach Rasse bzw. Größe etwa sechs bis neun Monate alt sind, nur angeleint und hinter dem Menschen die Treppe herunterlaufen.

Ausreichend Bewegung ist also wichtig für eine gesunde Entwicklung, doch der Welpe bzw. Junghund darf weder überfordert noch in Situationen gebracht werden, in denen er sich schwer verletzen kann. Der ausgewachsene Hund (also etwa ab Beginn der Pubertät) ist motorisch so weit ausgereift, dass er schwierige Situationen unverletzt bewältigt und sowohl mental als auch physisch länger aktiv sein kann.