Mann vs. Frau
Wer ist der/die bessere Hundeerzieher/in?
„Ich sag’s Ihnen gleich, mein Mann macht nicht mit“, höre ich regelmäßig zu Beginn der Trainingsstunde. Am Ende der Leine befindet sich meist eine leicht verzweifelte, aber durchaus gewiefte Powerfrau, die vor der Stunde die Kinder zum Geigen- und Ballettunterricht gebracht hat und direkt im Anschluss zu ihrer Bikram- Yoga-Stunde geht. Nebenbei wird selbstverständlich auch der neue Hund erzogen, berufsbegleitend versteht sich.
„Frauen haben erfahrungsgemäß ein besseres Verständnis für die Prävention von Problemen und sehen meist einen klaren Zusammenhang zwischen Erziehung und daraus resultierendem Verhalten des Hundes“, bestätigt auch Hundeprofi Martin Rütter in einem Interview mit crazy4dogs. Nicht zufällig sind etwa 90 % aller unserer Kunden in der DOGS Hundeschule Wien weiblich. „Männer kommen oft erst, wenn der Hut brennt, oder entscheiden sich dann sogar direkt zur Abgabe. Frauen agieren zum Beispiel viel frühzeitiger, wenn’s um das Zusammenleben von Kind und Hund geht, von Männern hört man oft nur: ‚Wenn er dem Kind was tut, geht er‘“, so der Hundeexperte. Auch Leinenführigkeit ist ein klassisches Phänomen. Frauen versuchen oft behutsam, ihrem Vierbeiner das lockere Gehen an der Leine von der Pike auf beizubringen, während Männer eher dazu tendieren, das Symptom zu bekämpfen, indem sie an der Leine rucken und situativ strenger sind.
KLISCHEES ÜBER KLISCHEES
Frauli ist aber auch konsequenter, weil sie meistens mehr Zeit mit dem Hund verbringt. Das ist übrigens kein statistisches Ergebnis, sondern eine persönliche Wahrnehmung aus meiner Erfahrung als Hundetrainerin. So müssen Frauen häufiger mit den Konsequenzen der Antiautorität leben und sehen folglich mehr Sinn in der Erziehung. Männer sehen ihre Hunde oft eher als Kumpel und Spielpartner, da ist Erziehung zweitrangig. Dennoch sind es eher die Vertreter des männlichen Geschlechts, die auch Wert auf Wehrhaftigkeit und Präsenz des Hundes in gewissen Situationen legen. Wenn sich der Schäferhund vor dem Chihuahua auf den Boden wirft, wurde schon so mancher Männerstolz geknickt. Es gibt aber durchaus auch Frauen, die offen oder insgeheim auf die Stattlichkeit ihres Hundes stolz sind. So kommt es schon vor, dass 50 kg Frauchen mit 70 kg Hund spazieren gehen bzw. leider eben oft umgekehrt. Die Entscheidung, einen Hund dieser Liga aufzunehmen, kann ja unmöglich praktisch-rational erfolgen.
Gerade optische Komponenten spielen in der Hundewahl häufig eine große Rolle. Frauen entscheiden tendenziell emotionaler, wählen jenen Hund, der mit seinen tapsigen Pfoten auf ihren Schoß klettert. Männer hingegen tendieren eher zu dem Rüden mit dem größten Kopf, der vom Züchter vielleicht sogar fälschlicherweise als Alphahund beschrieben wird. Sie raufen, ziehen und zerren dann am liebsten mit den Kleinen, während Frauli in der Hundeschule fragen soll, wie man verhindert, dass der Welpe in die Hände seines Halters beißt. Das mag Herrli nämlich dann nicht mehr so gerne.
DIE HINTERGRÜNDE
Ein großer Haufen an Klischees, die man unendlich fortführen könnte. Es gibt aber auch biologische Gründe und historische Wurzeln, die das beschriebene Verhalten von Frau und Mann erklären. Ein maßgebender Faktor ist das sogenannte Bindungshormon „Oxytocin“. Es gilt als vertrauensfördernd und wird bei Umarmungen und beim Streicheln ausgeschüttet. Gerade in der Geburtsphase oder beim Säugen wird die Menschenmutter mit einer Extraportion Oxytocin versorgt. Auch das Kindchenschema eines Welpen ruft die Ausschüttung dieses Hormons hervor: Kulleraugen, ein runder Kopf und der tollpatschige Gang sind oftmals der Grund, warum man so menschliche Gefühle für einen Hund empfindet. Vermutlich einer der Hauptgründe, warum Frauen eher dazu neigen, Hunde zu vermenschlichen, und eine deutlich höhere Bereitschaft haben, Hundezubehör zu kaufen und Halsbänder in allen Regenbogenfarben zu bestellen. 95 % der österreichischen Fressnapf-Mitarbeiter sind übrigens weiblich.
Aber auch die Geschichte birgt spannende kynologische Erkenntnisse: Eine um 3700 v. Chr. entstammende Skulptur aus Mexiko zeigt eine sitzende Frau, an deren Brust ein Wolfswelpe saugt. So komisch die Geschichte klingen mag, ist sie ein Beweis dafür, dass die Frau maßgeblich an den Ursprüngen der Domestikation des Wolfes zum Hund beteiligt war. Laut Erik Zimen († 19. Mai 2003), einem berühmten deutschen Kynologen, muss der Domestikation eine Zähmung des Wolfes vorangegangen sein. Seiner Meinung nach, konnten Wölfe nur gezähmt und sozialisiert werden, indem sie im frühesten Welpenalter vom Menschen aufgezogen wurden. Und nur Frauen – so der Kynologe – konnten die ersten Wölfe gezähmt haben. Und zwar ganz ohne nützlichen Hintergedanken, sondern im Sinne einer natürlich-mütterlichen Reaktion auf ein verwaistes, niedliches Lebewesen. So hatten die ersten Wölfe wohl noch keine weitere Funktion, als Begleiter, Spielpartner oder wärmende Kuschelquellen zu sein. Auch wenn wir nach wie vor viel zu wenig über die Domestikation des Hundes wissen, lässt sich annehmen, dass Männer erst weitaus später den Nutzen der neuen Begleiter erkannten und sich auch der Zuchtselektion widmeten. So entstanden bis heute währende Dispositionen zu Jagd, Wachsamkeit und sozialem Zusammenleben der verschiedenen Rassen.
DAS FAZIT
Jene Kundin, die zu Beginn beschrieben wurde, ist weiterhin, stellvertretend für viele weitere Kundinnen und auch Kunden, mit bestem Wissen und Gewissen damit beschäftigt, ihren 4 Monate alten Goldendoodle zu erziehen. Die Tatsache, dass ihr Mann sie nicht proaktiv bei der Erziehung des Welpen unterstützt, ist zwar suboptimal, jedoch nicht zwingend kontraproduktiv für seine Erziehung. Je konsequenter und souveräner sich Frauli dem kleinen Rüden gegenüber verhält, desto ernster wird er SIE nehmen. Desto eher wird er kommen, wenn SIE ihn ruft, und umso mehr wird er sich an IHR orientieren. Das wäre umgekehrt übrigens genauso. Hunde orientieren sich nämlich nicht am Geschlecht, sondern am vertrauenswürdigsten Partner…