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Sommerschur - Lifestyle oder Erleichterung?

Jedes Jahr im Sommer gibt es dieselbe Diskussion: Ist es wirklich sinnvoll, Hunde in der warmen Jahreszeit scheren zu lassen? Viele „Rassekenner“ verurteilen so manche Hundehalter gleich als Tierquäler, wenn sie ihren Hunden einen Sommerschnitt verpassen. Aber was ist nun richtig?

Aus meiner über 10-jährigen Berufserfahrung im Bereich der Tierpflege habe ich ein völlig anderes Bild zur vorherrschenden Theorie, man dürfe Hunde keinesfalls scheren, bekommen. Seit ich auch als Hundetrainerin arbeite, bestätigt sich meine Erfahrung aus dem Hunde-Salon: Eine fachgerechte Schur kann dem Hund immense Erleichterung in vielen Bereichen bringen!

Zunächst einmal muss man jedoch klären, was mit dem Begriff „Scheren“ eigentlich gemeint ist. Beim Scheren wird das Fell des Hundes, und zwar sowohl Unterwolle als auch Deckhaar, bis auf wenige Millimeter gekürzt. Langes Deckhaar, welches auf einige Zentimeter geschnitten wird, wie z.B. bei vielen Kleinhunderassen, wie dem Havaneser oder dem Bichon Frisé, aber auch das Einkürzen längeren Deckhaars im Bereich der Augen, wie z.B. beim Briard, um dem Hund eine bessere Sicht und Kommunikation mit Artgenossen zu ermöglichen, haben in der Regel keine Nachteile oder Veränderungen in Bezug auf die Funktion des Fells und müssen daher anders beurteilt werden als das Scheren des Hundes.

Gründe für eine Schur

1. Gesundheit
Der erste und wichtigste Grund für eine Schur ist die Gesundheit des Hundes: Oftmals ist eine Schur aus gesundheitlichen Gründen unvermeidbar bzw. verschafft dem Hund große Erleichterung.

So wird mir der Fall einer jungen Neufundländer Hündin immer in Erinnerung bleiben. Sie war schwer herzkrank, die Wochen waren gezählt. Jedoch waren weder der Züchter noch viele Mitmenschen begeistert davon, die Hündin zu scheren, da es nicht dem Rassestandard entspräche. Als ich die Kundin dann doch überzeugen konnte, es mit einer Schur zu versuchen, ging es dem Hund schlagartig besser. Die Hündin konnte den Rest ihres Lebens trotz ihrer Krankheit doch noch geniessen, ohne zusätzliche (Pelz) Last.

Auch im Alter haben Hunde häufig Herz-Kreislauf-Probleme, die durch eine Schur verringert werden können. Der Fellwechsel ist zudem oftmals durch hormonelle Veränderungen gestört, sodass es gerade im Alter wichtig ist, den Hund regelmäßig zu bürsten.

2. Temperaturregulation
Vielen Hunden wird durch das dicke Fell oft zu heiß, sie werden träge und inaktiv. Viele Rassen wurden ursprünglich für andere Klimazonen gezüchtet, ihr Fell hat sich aber durch das Leben in unseren Breitengraden nicht verändert. Natürlich sollte man die Beschäftigung sowie Spaziergänge mit dem Hund immer auch an aktuelle Temperaturen anpassen und Aktivitäten im Sommer z. B. eher in die frühen Morgen- bzw. späten Abendstunden legen. Leidet ein Hund aber durchgängig unter den höheren Temperaturen und ist selbst bei gemäßigten Temperaturen nicht zur Bewegung zu motivieren, kann man auch über eine Schur nachdenken.

3. Pflegeerleichterung
Leider kommt es in der Praxis zur Genüge vor, dass Hunde so verfilzt sind, dass ein Ausfilzen eine Tortur, wenn nicht sogar ein Ding der Unmöglichkeit ist. Viele Rassen sind nicht mehr "selbstpflegend", sie müssen regelmäßig gebürstet werden, damit das Fell nicht verfilzt. Natürlich muss man als DOGS Coach darauf hinweisen, dass jeder Mensch sich vor der Anschaffung eines Hundes genau über dessen Bedürfnisse informieren sollte! Und dazu gehört nicht nur die Information über Auslastung und Beschäftigung, sondern auch die Kenntnis über den Aufwand der Fellpflege der jeweiligen Rasse. Schafft man sich einen Hund an, der viel Unterwolle besitzt, ist regelmäßiges Kämmen und Bürsten Pflicht! Denn ist das Fell durch Vernachlässigung des Hundes erst einmal so stark verfilzt, hilft nur eine einmalige Schur mit anschließender regelmäßiger Fellpflege.

Was spricht gegen das Scheren?
Immer wieder werden einige Argumente gegen das Scheren vorgebracht: Sonnenbrand, veränderte Fellstruktur nach der Schur / Verfilzungen, beeinträchtigte Kühlungszirkulation, höhere Zeckenbissgefahr, kein Regenschutz, usw. Doch muss man auch hierbei immer verschiedene Blickpunkte betrachten!

1. Sonnenbrand

Ein professioneller Hunde-Salon schert das Fell nicht bis auf die Haut, sondern auf eine Länge, bei der kein Sonnenbrand entstehen kann. Muss ein Hund aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund starker Verfilzung, weil er z. B. aus schlechter Haltung kommt, doch einmal bis auf die Haut geschoren werden, muss in den ersten Tagen nach der Schur (bis das Fell etwas nachgewachsen ist) langer Aufenthalt in der Sonne vermieden werden. Zudem kann der Hund durch einen Mantel oder auch durch Sonnenschutzmittel vor direkter Sonneneinstrahlung geschützt werden. In meiner Praxiserfahrung hab ich daher noch keinen Hund kennengelernt, der durch das Scheren einen Sonnenbrand bekommen hat.

2. Verfilzung / Fellstruktur
Auch ein kurz geschorener Hund muss regelmäßig gepflegt werden. Ist dies nicht der Fall, kann das Fell verfilzen. Denn ohne ein Kämmen zwischendurch, kann sich das geschorene Fell beim Wachsen nicht richtig "ausbreiten", also nicht die richtige, normale Struktur einnehmen, und verplattet. Da das Fell durch das Scheren eh relativ kurz ist, verfilzt das Fell auf Dauer immer mehr und immer dichter an der Haut, es muss dann immer kürzer geschoren werden.
Ich habe bisher nur ganz wenige Hunde kennengelernt, bei denen sich die Fellstruktur, trotz regelmäßigem Bürsten, nach dem Scheren verändert hat. Dies hatte aber gesundheitliche Gründe – zurückzuführen auf Diabetes, eine Hautkrankheit oder ein komplett geschwächtes Immunsystem.

3. Kühlungszirkulation
Wenn wir uns das Fell vieler Hunderassen anschauen, dann wird schnell bewusst, dass die heutigen Rassestandards leider nicht mehr viel mit dem natürlichen und funktionalen Fell von früher zu tun haben. Viele Hunderassen besitzen mittlerweile so viel Unterwolle oder haaren nicht mehr selbstständig ab, sodass die Unterwolle verfilzt und verplattet, wenn sie nicht regelmäßig ausgekämmt wird. Die Hormone (z. B. aufgrund einer Kastration, aber auch durch hormonelle Veränderungen / Störungen im Alter) können hier auch noch ihre Finger im Spiel haben. Sie führen dazu, dass das Fell von Hunden mit Unterwolle „plüschiger“ wird. Die Unterwolle nimmt zu, wird der Hund nun nicht regelmäßig gebürstet, kann es auch hierbei zur Verfilzung kommen.

Kommt es zu dieser Verfilzung, kann kein normaler Fellwechsel mehr stattfinden, das Fell verfilzt direkt über der Haut. Eine Kühlungszirkulation durch das Fell ist in diesen Fällen nicht mehr möglich. Was früher noch funktional war, wurde durch das immer längere, immer dickere, immer dichtere Fell vieler Rassen in der Rassehundezucht leider kaputt gemacht. Es gilt also: Ohne entsprechende Pflege wird die natürliche Funktion des Fells außer Kraft gesetzt.

4. Zecken beißen schneller an
Zecken brauchen in der Tat länger, um durch das dicke Deckhaar sowie die dichte Unterwolle bis auf die Haut zu kommen als bei kurzem, geschorenem Fell. Gerade bei hellem Deckhaar kann man diese daher oftmals noch absammeln, bevor sie angebissen haben. Dann jedoch werden sie im dichten, langen Fell aber leider oft erst bemerkt, wenn sie schon dick und vollgesaugt sind und damit mögliche Krankheitserreger bereits weiter gegeben haben. Bei kurzem bzw. geschorenem Fell sieht man Zecken oft auf den ersten Blick und kann sie noch entfernen, bevor sie angebissen haben. Auch danach sieht man die Erhebung im Fell durch die angebissene Zecke relativ schnell, sodass diese bereits nach kurzer Zeit entfernt werden kann. Allerdings sind Zecken auch schneller durch das kurze Fell hindurchgekrabbelt und beißen daher schneller an, sodass geschorene Hunde häufiger angebissene Zecken haben.

5. Regenschutz
Schutz vor Witterung durch das Deckhaar ist beim kurz geschorenen Fell nicht mehr vorhanden. Ein Hund mit geschorenem Fell ist also schneller nass bei Regen, dafür aber auch – nach dem Spaziergang - schneller getrocknet. Dennoch muss man gerade bei kaltem, nassem Wetter aufpassen, da geschorene Hunde schneller frieren. Lange Pausen unterwegs ohne Bewegung sollten daher vermieden werden.

Zwar wird z.B. ein Golden Retriever mit langem Fell bei Regen also nicht so schnell bis auf die Haut nass, ist er jedoch völlig durchnässt, bleibt er natürlich auch länger feucht. Wird er nun nicht gut abgetrocknet, ist dieses Klima ideal für Bakterien, vor allem dann, wenn sich der Hund nach dem Spaziergang in der warmen Wohnung aufhält. Diese Hunde riechen dann extrem, wenn sie nass sind und bei Verletzungen, wie z. B. kleinen Kratzern, bietet sich hier auch ein perfekter Nährboden für Ekzeme. Langhaarige Hunde bzw. Hunde mit dichter Unterwolle müssen daher nach dem Spaziergang im Regen oder dem Wasserspaß im Teich im Sommer gut abgetrocknet werden.

6. Schutz vor Verletzungen
Schutz vor Verletzungen der Haut durch das Deckhaar z. B. durch Dornen ist beim kurz geschorenen Fell nicht mehr vorhanden. Sowohl die dichte Unterwolle als auch das dickere Deckhaar bieten dem Hund einen guten Schutz vor Verletzungen. Allerdings nimmt der Halter kleinere Verletzungen beim nicht geschorenen Hund auch nicht so schnell wahr, diese sind gut unter dem dichten Fell verborgen. Bei nassem Fell kann es dann schneller zu einer Entzündung der Wunde kommen. Jeder Hundehalter sollte seinen Hund daher einmal täglich auf kleinere Verletzungen hin abtasten.

Ich möchte mit diesem Artikel auf keinen Fall dazu aufrufen, dass jeder Hund geschoren werden sollte. Es gibt viele Hunde, die mit ihrem natürlichen Fell keine Probleme haben. Einen solchen Hund zu scheren, nur weil der Halter des Hundes keine Lust hat, seinen Hund zu kämmen oder weil Hunde mit geschorenem Fell weniger haaren, würde ich niemals empfehlen. Nicht ohne Grund sind unsere Golden Retriever Mischlingshündin Penny sowie unsere Weiße Schäferhündin Mira, die beide viel Unterwolle besitzen, nicht geschoren. Für Tiago, unseren älteren Golden Retriever-Schäferhund-Mix bedeutet das kurz geschorene Fell jedoch einen Unterschied wie Tag und Nacht: Ist er geschoren, kann er uns trotz seines Alters noch auf Spaziergängen begleiten und an unserem gemeinsamen Leben aktiv teilnehmen!

Ich möchte mit diesem Artikel das  Bewusstsein fördern, dass das Scheren eines Hundes gute Gründe haben kann, sei es durch das Alter, durch eine Krankheit oder aufgrund der Fellbeschaffenheit des Hundes bzw. dessen aggressiven oder ängstlichen Verhaltens bei der Pflege. Ja, Scheren ist ein Eingriff in die natürliche Fellbeschaffenheit der Hunde. Doch unsere Hunde leben schon lange nicht mehr „natürlich“, wir zwingen sie zu einem Leben in unserer Gemeinschaft, in unserer Zivilisation. Zu einem Leben in Breitengraden, in denen sie normalerweise nicht vorkommen würden, zu einem Leben in geheizten Wohnungen und dadurch bedingten Temperaturschwankungen, die es in einem Leben in der Natur so nicht gibt.

In jedem Fall sollten das Wohlsein und die Gesundheit des Hundes vor etwaigen optischen Ansprüchen des Menschen stehen.