Was ist schon normal?
Wenn wir von normalen Menschen sprechen, haben wir irgendwie im Kopf, dass es sich dabei zumindest nicht um Psychopathen handelt... viel mehr an Definition und Maßstab bleibt dann aber auch nicht. Von „normalen“ Hunden erwarten wir, dass sie freundlich zu Menschen sind, sich mit allen Artgenossen verstehen, draußen nicht weglaufen, nicht an der Leine ziehen und gut allein bleiben können.
Normal ist das nicht, rein gar nicht.
Eher dürfen Hunde Menschen komisch finden, wenn sie sich z. B. mit den Worten „Ja wo isser denn?“ über sie beugen. Kein Kind der Welt genießt es, von Tante Uschi in die Wange gekniffen zu werden und sie dabei staunend sagen zu hören, wie groß es schon geworden ist. Das Nach-vorne-Beugen und Anglotzen ist aus Hundesicht eine Drohgeste, also darf Hund auch sein Missfallen aus-drücken. Versprochen schickt er dabei mindestens eine Übersprunghandlung (ein unerwartetes Verhaltensmuster) voraus, um die Situation abzuwenden, wird aber nicht „erhört“ und knurrt dann.
Knurren? Eigentlich normal!
In der Natur leben Hunde in mehr oder weniger großen Rudeln mit klaren territorialen Grenzen. Sie dienen der Abgrenzung des Jagdgebiets und der sicheren Aufzucht des Nachwuchses – (sexuelle) Konkurrenten sind dort keinesfalls erwünscht. Und wir? Leben mit unseren Vierbeinern auf engstem Raum, und unsere Hunde müssen Artgenossen täglich dulden – in den Hundezonen, Parks und Straßen dieses Landes.
Andere Hunde doof finden? Eigentlich normal!
Apropos Jagdgebiet! Die Natur hat es so eingerichtet, dass der Hund nicht nur aus existenziellen Gründen jagt, sondern auch, weil es ihm Spaß macht. Auf diese Weise führt nicht die Erfolgsquote der tatsächlich erlegten Beute zur Wiederholungstat, sondern vor allem der Glückscocktail an Hor-monen, die beim Hetzen ausgeschüttet werden. Das ist es, was auch unsere Hunde noch antreibt.
Abhauen zum Jagen? Eigentlich normal!
Hunde, die an der Leine ziehen, nerven – keine Frage! Die einen Hundehalter lösen das, indem sie Leinenführigkeit weitestgehend meiden, einfach zum Waldrand fahren und den Hund dort auslassen, um ihn erst gar nicht mit der Leine zu konfrontieren. Die anderen wählen das Prinzip der positiven Bestrafung und versetzen ihrem Vierbeiner „netterweise“ jedes Mal einen Leinenruck, wenn er zu ziehen droht. Oder sie greifen zu den (mittlerweile per Tierschutzgesetz in Österreich verbotenen!) Zughalsbändern zurück, die diese Arbeit quasi von selbst erledigen: Der Hund wird bei jedem Ziehen gewürgt und in seinem sensibelsten Bereich „eingeklemmt“. Ein paar nette Hundemenschen versuchen ihren Tieren das Nicht-Ziehen schmackhaft zu machen, indem sie dieses Verhalten – in welcher Form auch immer – positiv verstärken. Und das völlig zu Recht! An der Leine zu gehen ist eine der unnatürlichsten Anforderungen, die wir an unsere Hunde haben!
Leineziehen? Eigentlich ganz normal!
Die Gesellschaft gibt uns förmlich vor, unsere Hunde ab und zu einmal allein zu lassen. Und es gibt auch jede Menge Gründe, warum Hunde das können sollten. Dennoch: In der Natur würde ein Hund quasi nie allein zurückgelassen werden. Hunde sind Rudeltiere und brauchen daher immer Sozialpartner um sich. Umso mehr sind wir es ihnen schuldig, ihnen diesen unzumutbaren Zustand des Alleinseins auch im Alltag in kleinen Schritten beizubringen.
Nicht allein bleiben können? Eigentlich normal!
Es gibt unzählige Formen von „Fehlverhalten“, die wir Hunden ankreiden. Wir lassen sie zum Problemhund werden und wollen dann mit vermeintlich „artgerechtem“ Training entgegenwirken. Artgerecht wäre jedoch nur, sie in allem so walten zu lassen, wie es ihrer Natur entspricht. Doch das geht nun schlicht und einfach nicht und macht obendrein auch niemanden besonders glücklich. Das Leben mit Hunden in unserer Gesellschaft gibt nun einmal einige Regeln vor. Und Hunde sehnen sich nach Konsequenz in unserem Handeln und Tun.
Wer einmal verstanden hat, dass Erziehung Hunde nicht einschränkt, sondern ihnen eigentlich mehr Freiheiten gewährt, der kann seinem Vierbeiner auch ein Maximum an „Normalsein“ gönnen ...